DIE

Geschichte der Quellen und Literatur

des

Canonischen Rechts

von

Gratian bis auf die Gegenwart.

Von

Dr. Joh. Friedrich von Schulte.

D r e i B ä n d e.

Dritter Band,

Die Geschichte der Quellen und Literatur von der Mitte des 16. Jahr- hunderts bis zur Gegenwart.

STUTTGART.

Verlag von Ferdinand Enke. 1880.

DIE

Geschichte der Quellen und Literatur

des

Canonischen Rechts

von

der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zur Gegenwart,

Von

Dr. Joh. Friedrich von Schulte,

Geheimem Justizrath und Professor der Rechte in Bonn.

Erster Theil. Das katholische Recht und die katholischen Schriftsteller.

STUTTGART.

Yerlag von Ferdinand Enke.

1880.

Druck von Gebrüder Kröner in Stuttgart.

Einleitung.

Wie in den beiden ersten Bänden sind im vorliegenden die Quellen der ersten, die Literatur der zweiten Abtheilung überwiesen; ebenso ist die Zeitfolge für die Anordnung der Schriftsteller massgebend geblieben. Bezüglich derselben ist das Datum der Geburt als entscheidend festgehalten; wo dieses nicht be- kannt war, auch aus anderen Thatsachen nicht ungefähr bestimmt werden konnte, ist das Todesjahr entscheidend gewesen ; wo kein biographisches Datum vorlag, hat regelmässig das Jahr, in dem eine Schrift zuerst erschien, den Ausschlag gegeben. Es lässt sich natürlich über diese Methode streiten, ein bestimmtes System musste aber befolgt werden. Anonyme Schriften haben lediglich wie früher in dem dritten Kapitel der zweiten Abtheilung Platz ge- funden. Wenn darin auch verschiedene Schriftsteller untergebracht sind, so hat das seinen Grund entweder darin, dass einzelne übersehen wurden, weil sie in dem Material von vornherein in das dritte Kapitel gelegt waren, oder in der Schwierigkeit, sie unter die gewählte Ordnung zu bringen, weil die Gonfession des Verfassers unbekannt war. Das Erste ist unangenehm, aber schliesslich bei der Massenhaftigkeit des Stoffs entschuldbar, das Zweite unver- meidlich, sobald die einmal gewählte Ordnung eingehalten werden sollte, das alphabetische Personen-Verzeichniss hilft aus. Die in den früheren Bänden fyr die Anordnung der Biographieen gewählte Ordnung nach Materien musste verlassen werden, weil sie unmöglich war, wie der flüchtigste Blick zeigt. Alle Nationen des Gontinents, welche in der abendländischen Kirche stehen, haben einen mehr oder minder hervorragenden Antheil an der Literatur. Mir schien die Anordnung nach Nationen die gegebene um so mehr zu sein, als diese Anord- nung zugleich äusserlich in die Gegenstände, die Methode und Ziele der Behand- lung einen guten Einblick gewährt. Die gewählte Folge der Nationen bestimmte sich objektiv nach dem Umfange ihres Antheils an der Literatur. Wir haben es für diese ganze Zeit zu thun mit den beiden grossen Theilen der abend- ländischen Kirche: den KathoHken und Protestanten (Evangelischen), die näheren Scheidungen innerhalb der evangelischen Kirche konnten ausser Be- rücksichtigung bleiben. In der Scheidung innerhalb der Kirche lag der innere Rechtsgrund für die Trennung der Geschichte der Rechtsquellen in eine der katholischen und evangelischen, zugleich für das äussere Unterscheiden der Schriftsteller in katholische und evangelische.

VI

Die vorliegende Scheidung (Geschichte der Quellen des katholischen Rechts und der Literatur, soweit sie die katholischen Schriftsteller umfasst ; Geschichte der Quellen des evangelischen Rechts und der die evangelischen Schriftsteller begreifenden Literatur) ist auf Wunsch des Herrn Verlegers gemacht, nachdem das Manuscript druckfertig vorlag. Ich habe diesem Wunsche, bei dem die begreifliche Absicht leitete, durch separate Ausgabe des das evangelische Recht und die evangehschen Schriftsteller behandelnden Theiles diesen Theil weiteren Kreisen zugänglich zu machen, um so lieber entsprochen, als ich dem Herrn Enke für die glänzende Ausstattung und die Opfer, welche er bringt, zu grossem Danke verpflichtet bin, und zugleich glaube, die Sache nicht geschädigt zu haben. Die katholischen Schriftsteller haben mit verschwindender Aus- nahme sich mit dem evangelischen Kirchenrechte in aufbauender Weise nicht befasst, die evangelischen mit wenigen Ausnahmen zugleich mit dem cano- nischen. Durch die gewählte Trennung tritt sofort äusserlich ein Gesammtbild dessen heraus, was jeder der beiden grossen Gonfessionen zufällt. Die be- sondere Paginirun g der beiden Theile war durch die beabsichtigte Separat- ausgabe des zweiten geboten. Indem ich als dritten Theil mit fortlaufender Seitenzahl des zweiten das Material des Kapitels 3 der zweiten Abtheilung des kathoHschen und evangelischen Rechts gebe, und durch die einheitlichen Inhalts- verzeichnisse ist für den ganzen Band die Einheitlichkeit und Uebersichtlichkeit gewahrt und zugleich das richtige Verhältniss bezüglich des Umfanges der beiden Bände erreicht ; die Separatausgabe kommt hier nicht weiter in Betracht.

Für das innere katholische Kirchenrecht habe ich das Jahr 1870 als Endpunkt angenommen, die Gründe sind Theil I. Seite 41 angeführt. Wer ihnen nicht zustimmt, wird mindestens zugeben, dass dieses Jahr einen pas- senden Abschnitt bildet. Es war die nothwendige Folge, dass Schriftsteller, welche nur erst mit dem 18. Juli 1870 eingetretene Fragen behandeln, ebenso die Geschichte, der Gang des vatikanischen Goncils und die Literatur über dasselbe an und für sich keinen Platz finden ; die Erwähnung solcher Schriften unter den anderen Werken eines Schriftstellers oder die gelegentliche Erwäh- nung überhaupt ist nicht ausgeschlossen. Für das evangelische Recht ist 1878 als Grenze genommen; bezüglich der Schriftsteller überhaupt ist ihre Thätig- keit bis zu dem Momente verfolgt, wo der Druck des betreffenden Passus erfolgte.

Es liegt in der Natur der Sache begründet^ lediglich auf die gedruckten Schriften Rücksicht zu nehmen. Denn erstens lohnt es sich selten der Mühe, Handschriften durchzumachen, wofern es sich nicht um einzelne historische Untersuchungen, Gutachten, Entwürfe u. dgl. handelt, welche regelmässig ein lokales oder persönhches Interesse haben ; zweitens ist es eine Seltenheit, dass ein bedeutenderes Werk un gedruckt blieb, die Gollegienhefte, welche in Biblio- theken sich vorfinden *), haben, wenn sie Nachschreibungen in der Vorlesung

^0 Der Katalog der Münchener Staatsbibliothek hat solche von Georg Kimpfler aus dem Jahre 1656-1658, Nr. 4801 sq.; Engel von 1661-1665 (eins geschrieben von Plac. Mayr) Nr. 4803, von 1670-1672, Nr. 4805; Bob. König von 1686 in Nr. 4806; Paul Schallheimer von 1712-1713, Nr. 4939 (Com. in lib. IL decr.). Feter

VII

von Männern sind, deren Vorlesungen bezw. Werke über den Gegenstand gedruckt vorliegen, keinen Werth, die von einer Reihe obscurer Personen ge- haltenen ergeben sich regelmässig beim Lichte besehen als unselbstständige Arbeiten; jedenfalls haben die blos handschriftlichen Werke keinen Einfluss gehabt ; endhch ist auch vielfach nicht mehr zu constatiren , wo sich eine Handschrift jetzt befindet, ein Suchen danach nicht rathsam.

Regelmässig sind nur jene Schriftsteller berücksichtigt, welche eigne Schriften, nicht blosse Aufsätze in Zeitschriften oder sonstigen Sammelwerken veröffentlicht haben. Wo eine Ausnahme gemacht ist, wird sie dem Leser sofort erklärlich sein. Es versteht sich aber von selbst, dass die älteren Sammelwerke den neueren nicht gleichstehen, weil jene nachträglich die Ar- beiten zusammenstellen, während in neuerer Zeit die Aufsätze für die Zeit- schriften u. s. w. geschrieben werden ; ein Repertorium der Zeitschriften u. dgl. beabsichtige ich nicht, die Anführung aller wäre leicht gewesen. Absolute Vollständigkeit ist nicht beabsichtigt und kaum erreichbar. Ich habe nochmals in den drei letzten Jahren in einer Reihe von Ribliotheken (z. B. Berlin, Giessen, Göttingen, Marburg, München, Turin u. s. w.) eingehende Studien gemacht, um die Lücken auszufüllen. Es ist mir nicht zweifelhaft , dass gewiss noch manche Schrift fehlt, weil sie in keiner der von mir benutzten Bibliotheken vorkam, oder von mir übersehen wurde. Eine wirkHch wichtige Schrift glaube ich nicht übersehen zu haben ; viele Hess ich fort, weil sie gar zu wenig oder nichts Juristisches bieten, noch sonst zur Sache dienen. Unbedenklich gebe ich zu, dass man bezüglich einzelner Schriften, die ich anführe, der Ansicht sein kann, sie gehören nicht hierher, bezügHch nicht aufgenommener nament- lich von Theologen, deren Kenntniss man mir wohl zutrauen wird, der Auf- nahme das Wort reden kann; die Massenhaftigkeit des Stoffs und die ver- schiedenen Gesichtspunkte, welche darzulegen waren, dürfen wohl die Ent- schuldigung bieten*).

Guetrather (^Com. in decr. lib. 1—3) 1710--1712 in Benedictbeuern gehalten in Nr. 4938; Wagnereck von 1655 (in lib. 3 decr.) in Nr. 8293; von Casp. Ever. hard, u. j. Dr. und Prof. Ingoist., später Reichskammergerichtsassessor in Spei er, gestorben 1573: Joe/ legales s. repertorium juris ordine alph, Nr. 8801 fol. 1 197. *) Ich [will nur Einiges andeuten. Hätten alle Schriften, in denen die Hierarchie, Presbyterat, Weihen, Sakramente behandelt werden, berücksichtigt wer- den soUen, so würde die Darstellung auf sehr viele Theologen zu erstrecken sein, ohne dass daraus für das Recht ein Nutzen hervorginge. Es ist daher nur die wirklich juristische Behandlung darbietende oder die für das Recht massgebend gewordene Literatur berücksichtigt. Eine zweite Rücksicht war die Unmöglichkeit der Herbeiziehung aller Dissertationen u. s. w. bezüglich des Lokalkirchenrechts -^ das würde zu einer Lokalgeschichte führen. Drittens ist darauf verzichtet, die historischen Werke (und Historiker) zu berücksichtigen, welche für das Kirchen- recht wichtig sind, weil auch hier auf unmittelbar rechtshistorische sich zu be- schränken war. Viertens konnte nicht aufgenommen werden die wahre Fluth voä Broschüren über einzelne kirchenpolitische Fragen (z. B. Primat des Königs von» England, Venetianer Ihterdict 1607, die zahlreichen Streitfälle der Päpste mit den französischen Königen), über einzelne päpstliche Erlasse (Syllabus, Bulla Cru- ciata u. s. w.), über rein theologische Streitigkeiten, wie die durch die Bullft

VllI

Was man nicht selbst gesehen, dafür kann man keine Verantwortung übernehmen. Wer ähnhche Studien gemacht hat, weiss, dass die gedruckten Kataloge selbst aus noch nicht ferner Zeit selten, ebensowenig die biblio- graphischen und noch weniger die biographischen Werke zuverlässig sind. Der Titel lautet oft ganz anders, als der scheinbar wörtliche Abdruck. Wer aber gar glaubte, die Titel in den Lehr- und Handbüchern und Monographieen seien exact, würde sehr irren ; es wäre leicht, z. B. aus Phillips' Kirchenrecht eine ganze Sammlung von Gitaten zu machen, welche den Beweis liefern, dass das Gitat von dem citirten Original unabhängig ist. Ich habe nur ganz ausnahmsweise auf falsche Citate hingewiesen, wenn dieselben auf förmlicher Succession beruhen. Dagegen habe ich Bücher, welche ich nicht selbst ge- sehen habe, mit einem * bezeichnet, oder dies im Gontext erwähnt. Regel- mässig gebe ich auch nur die von mir selbst gesehenen Ausgaben an; habe ich die erste oder verschiedene nicht gesehen , halte eine Anführung jedoch aus sachlichen Gründen für passend, so ist entweder die Quelle angegeben, oder durch eine ( ) u. dgl. eine Andeutung gemacht.

Durchgehends ist der volle Titel, natürlich mit Weglassung des Namens u. s. w., gegeben ; wo das nicht nöthig erschien, ist die Kürzung durch Punkte (. . .) oder ein ,cet.'^ angedeutet. Typographische Genauigkeit der Titel konnte nicht in meinem Plane liegen, sie ist nur ausnahmsweise vorhanden und wird sich da leicht selbst rechtfertigen; ich habe mich regelmässig der neueren Schreibweise, insbesondere auch bei französischen Schriften, angeschlossen.

Was die Druckorte betrifft, so sind dieselben auf den lateinischen Titeln lateinisch gegeben. Ich habe sehr oft statt deren die wirklichen heutigen Namen {Köln für Goloniae oder Gol. Agrippinae, Frankfurt für Francofurti ad Moenum, Ltjon, Paris, Turin, Geneve für Gol. AUobrogum) gesetzt, was wohl keinen Tadel finden dürfte, da sicherlich bei den meisten modernen Werken der Schwerpunkt nicht darauf liegt, wie der Druckort auf dem Titel- blatte gedruckt ist, sondern welches der Ort des Druckes bezw. der Aus- gabe ist.

Hinsichtlich der Namen habe ich nach reifer Ueberlegung folgendes System befolgt. Ich gebe die Familiennamen regelmässig so, wie sie in Wirk- lichkeit gelautet haben, also in der betreffenden Landessprache, ohne Beifügung der lateinischen oder latinisirten Form, wenn diese sich leicht ergiebt; ist das nicht der Fall, so setze ich die latinisirte Form, vorausgesetzt dass der be- treffende Schriftsteller lateinisch geschrieben, in Klammern bei. Wo ich nur die latinisirte Form kenne, habe ich keine Wahl. Ich darf als bekannt voraus- setzen, dass in Italien noch heute keine Gleich mässigkeit herrscht und derselbe

Unigenitus berührten, die Löwener 1683 u. s. w., wenn solche auch auf die recht- liche Entwicklung indirekt eingewirkt haben, nicht die zahllosen Broschüren über den Papst, Cölibat, Heirath mit der Schwester der Frau u. dgl., Streitschriften aus dem Anfange der Reformation u. s. w. Endlich musste bezüglich der Ausgaben, Uebersetzungen , Controversschriften Mass gehalten werden. Wo ein Schriftsteller nur eine oder mehrere derartige Broschüren u. dgl. geschrieben, ist er nur berück- sichtigt, wenn sie Werth hat oder eine Bedeutung im Streite hatte 5 derselbe Massstab ist bezüglich der anonymen Schriften angelegt.

IX

Name bald in o bald in i endigt. Für die frühere Zeit ist es geradezu un- möglich, immer das Richtige zu treffen. Pallavicino und Pallavicim wechseln noch heute und erst vollends bei den Aeltern. Die Tauf- (Vor-) Namen gebe ich ebenso regelmässig in der Landessprache, sonst in der in Deutschland üblichen Form, wenn es sich um allgemein gebräuchliche handelt, Ortsnamen habe ich immer in ihrer wirklichen Form nach der heutigen Schreibweise des Landes gegeben, weil ich dies an sich für das Richtige halte und dadurch den Leser der Mühe überhebe, sich erst aus Rüchern, die man auch nicht immer zur Hand hat, Rath zu holen.

Rei der Einreihung unter die Rubriken: Deutsche, Italiener u.s.w. ist nicht die Nationalität im eigentlichen Sinne, sondern der Umstand mass- gebend gewesen, ob der Schriftsteller seiner Geburt nach dem heutigen Frank- reich u. s. w. angehörte. Dass die Oesterreicher und übrigen Deutschen und die Deutsch-Schweizer einfach als Deutsche gerechnet werden , bedarf wohl keiner Rechtfertigung und wird hoffentlich nicht als Folge von Annexions- gelüsten genommen werden. Wenn ein Schriftsteller von seiner Jugend an und nach seinem ganzen Wirken nicht in seinem Geburtslande stand, darf er dem zugerechnet werden* dem er angehörte. Niemand wird mir den Vorwurf machen, Deutschland Namen zu annectiren ; ich habe manchen diesem nicht zugewiesen, obwohl seine Rildung und Thätigkeit ihm angehört. Sollte sich trotzdem ein Verstoss finden, so möge man ihn durch die Massen haftigkeit des Materials, oder dadurch entschuldigen, dass es mir einzeln unmöglich ge- wesen ist, die Herkunft einer Person festzustellen, mithin nur Schlüsse übrig blieben.

Die Biographieen habe ich zur Ersparniss des Raumes auf den mög- lichst kurzen Ausdruck gebracht, nur dort ist näher eingegangen worden, wo die Redeutung und Wirksamkeit eines Schriftstellers für die Wissenschaft des Kirchenrechts, oder für die Entwicklung der kirchlichen Verhältnisse überhaupt hervorragend und bisher nicht genügend gewürdigt worden ist. Die stehenden Redensarten von Anlagen, Sitten u. dgl. sind vermieden, es genügt meistens eine Kenntniss der Lebensstellung der Person. Diese ist aber wesentlich für die Reurtheilung der Thätigkeit selbst und für die ganze Retrachtung der Literaturentwicklung überhaupt. Wo ich mich auf die gewöhnlichen Hülfs- mittel, die in den beiden früheren Randen und weiter folgend angeführt sind, stütze, habe ich häufig zur Raumersparniss keine Quelle angeführt; dasselbe gilt bei Personen der neuesten Zeit, deren Verhältnisse mir persönlich, aus den Notizen öffentlicher Rlätter u. dgl. bekannt vv^aren. Denjenigen, welche von den lebenden Schriftstellern mir gütigst auf Ritten übersandt wurden, ist ein A. (Autobiographie) beigefügt worden ; ich danke den betreffenden für die mir erwiesene Zuvorkommenheit. Auf Rerichtigungen habe ich mich selten eingelassen ; ich gab, w^as sorgfältige Prüfung der Quellen als richtig annehmen liess; darüber hinaus zu gehen würde zu weit führen. Es ist mir nicht möglich gewesen, bezüglich einer grossen Anzahl auch nur die geringsten biographischen Notizen zu finden, weil_ sie in keinem mir zu Gebote stehenden Werke vorkommen, das Titelblatt, die Schrift selbst keinen Anhalt bietet; bezüglich Mancher bin ich auf die sich aus den Schriften ergebenden Notizen

beschränkt, leider habe ich aber, als mir die Schrift zuerst zu Gesicht kam, oft vergessen, solche Notizen zu machen. Nachgerade, als ich diesen Mangel tief empfand, war es nicht mehr Zeit, die Schriften nochmals einzusehen. Es dürfte Jedem ähnlich ergangen sein, der ein solches Werk macht; die Kenntniss der Schriften muss voraus gehen, die Biographieen denkt man schon machen zu können. Für diese ist das gewöhnliche Resultat, dass man das, was man überhaupt findet, in allen derartigen Werken findet, so dass der alte Jacher bezw. iöcher - Adelung vielfach ausreicht. Die neueren Werke, ,Biogr. generale, universelle* und auch die ,allg. deutsche Biographie' sind für die Juristen, Ganonisten und Theologen auch nicht annähernd vollständig, wie der einfachste Vergleich mit meinem Werke zeigt. Am übelsten steht es um die Spanier; denn ausser Nicolaus Antonius hat man keine Hülfsmittel und wie häufig dieser im Stich lässt, weiss Jeder, der ihn kennt. Die Spezial- geschichten haben mir nur theilweise zu Gebote gestanden. Auch viele Italiener präsentiren sich ohne Biographie und beziehentlich ohne genügende. Der Grund liegt trotz der Menge ausgezeichneter Werke über einzelne Städte, Schulen u. s. w. in dem Fehlen allgemeiner biographischer, in dem Nicht- vollendetsein des von Mazzuchelli, vor Allem aber darin, dass man in Italien wie in Frankreich wohl auf die Männer der „schönen Künste" und darüber etwas hinaus allgemein achtet, die Juristen aber meistens nicht beachtet werden, abgesehen von einzelnen Paradepferden. Die Spezialgeschichtswerke leiden an demselben Fehler.

Die im Interesse der Raumersparniss vorgenommenen Aenderungen: äusserste Einschränkung der Zahl der Paragraphen, Druck der Titel mit kleiner bezw. cursiver Schrift u. a. werden hoffentlich Bilhgung finden; ein irgend splendider Druck, wie z. B. in Savigny's Geschichte des römischen Rechts, würde anstatt zwei für diesen dritten Band mindestens fünf Bände gefordert haben.

Es wird leicht sein, Lücken, Versehen, üngenauigkeiten zu finden und sich an solche haltend zu kritisiren. Wer daran Freude hat, dem rathe ich einmal wirklich eingehende derartige Studien zu machen. Ich musste das Werk abschliessen und, um den Umfang nicht noch um vielleicht ein Fünftel zu erhöhen, die Darstellung der zweiten Abtheilung möglichst kürzen.

literarische Hülfsmittel

(ausser den Bd. I. S. 11 ff., II. S. IX angeführten).

1. Jani Nicii Erythraei [J oh. Yictor Rosci f 1647 in Rom], Pinacotheca ima- ginum illustrium doctrinae vel ingenii laude virorum qui aiictore superstite diem suum obierunt. Colon. 1645. Lips. 1712 [in dieser die vita des Roscius]. Nach dieser von 1712 citire ich.

2. Witte, Memoriae Itorum nostri saeculi. Frankf. 1676 und Diarium bio- graphicum cet. Gedan. 1688. 4. 2 voll, (im 17. Jahrhundert gest. Schriftsteller, nach dem Datum des Todes).

3. Leickher, Vitae clarissimorum Itorum. Lips. 1686, fortgesetzt von Buder, Vitae dar. Itorum. Jen. 1721.

4. Freher-i Theatrum virorum eruditione clarorum (P. II. die Juristen). Norimb. 1688 fol.

5. Bayle , Dictionnaire hist. et crit. Rotterd. 1697. 2 T. fol. u. ö. Deutsch von Jo. Christoph Gottsched. Leipzig 1741—44. 4 voll. fol.

6. Schauplatz berühmter Staats- und Rechts-Gelehrten. Berlin 1710.

7. Sincerus, Vitae et scripta magnorum Itorum. Wittenb. 1713, 1718. 3 Bde.

8. Niceron, Memoires pöur servir a l'histoire des hommes illustres dans la republique des lettres. Paris 1727—45. 43 voll. Deutsch {Baumgarten, Rambach, Jahn) Halle 1740-77. 24 Bde. 8.

9. Goetten, Jetztlebendes gelehrtes Europa. Braunschweig 1735—40. 3 Bde., Fortsetzung von Rathlef, Zelle 1740—44, 8 Bde., Strodtmann, das. 1745—48. Bd. 9—12. (Strodtmann) Beyträge zur Hist. der Gelahrtheit. Hamb. 1740—50. 5 Bde. Strodtmann und Stosch, Neues gel. Europa. Wolfenb. 1750—75. 20 Thle.

10. Nettelhladt, Hallische Beyträge zu der juristischen Gelehrten -Historie. Halle 1754—62. 12 Stück in 3 Bänden mit in jedem fortlaufender Paginirung; desshalb nur nach Bänden citirt als ,Hall. Beytr.'

11. Polyhistor Morhofianus cura Jo. Molleri, Lubec. 1680, 1714, 1732. 4. (T. III. 1. VI.)

12. Biographie universelle ou Dictionnaire historique cet. par F. X. de Feller. Edition revue et continuee jusqu'en 1848 sous la direction de M. Ch. Weiss et de M. Vahhe Busson. Paris 1847—50. 8 voll.

Für Deutschland.

Moser, Lexicon der jetztlebenden Rechtsgelehrten in Teutschland. Züllichau 1738, 1739.

Jenichen, Unparteyische Nachrichten von dem Leben und denen Schriften der jetztlebenden Rechts-Gelehrten in Teutschland. Leipzig 1739.

Denkmäler verdienstvoller Deutschen des 18. und 19. Jahrhunderts. Leipzig 1828. 2 Bde.

XII

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Jäck.^ Pantheon der Literaten und Künstler Bambergs. Bamb. 1812. 4.

Koholt, Baierisches Gelehrten-Lexikon u. s. w. Landshut 1795 und: Ergän- zungen und Berichtigungen zum B. Gel. -Lexikon. Von demselben und mit Nach- trägen von Gandershofer. das. 1824.

Koppe, Lexicon der jetzt in Teutschland lebenden juristischen Schriftsteller und akademischen Lehrer. Leipzig 1793. 1. Bd. A— L.

Galerie der vorzüglichsten Staatsmänner und Gelehrten teutscher Nation und Sprache mit ihren Bildnissen. Verfasst von Dr. F. Scheppler, herausgegeben von Joh. Phil. Moser. Nürnb. o. J.

FicJcenscher, Gelehrtes Bayreuth.

Rassmann, Nachrichten von dem Leben und den Schriften Münsterländischer Schriftsteller des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts. Münster 1866.

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12. Mainz. Waldmann, Biographische Nachrichten von den Rechtslehrern auf der Jiohen Schule zu Mainz im achtzehnten Jahrhundert. Mainz 1784. Ein tüchtiges, allgemein benutztes Buch.

XIII

13. München, Ingolstadt, Landshut: Frantl, Geschichte der Ludwig- Maximilians-Universität in Ingolstadt, Landshut, München. München 1872. 2 Bde. Annales Ingolstadiensis Academiae. Inchoar. Botmarus et Engerdus. Emen- davit cet. Mederer. T. I IV. Ingoist. 1782. T. V. Annales almae lit. univ. Ingoist. . . . Landishutum postea . . . Monachium translocatae . . . continuavit . . . Permaneder. Mon. 1859. 4.

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2. Ant. Sanderi, De Gandavensibus eruditionis fama claris libri tres . . . Antwerp. 1624. 4.^ De Brugensibus erud. fama claris libri duo. ib. 1624. 4.; De scriptoribus Flandriae lib. III. Antw. 1624. 4t.\ Bibliotheca belgica manuscripta cet. Insulis 1641, 1644, 2 P. in 4.

3. Burmannus, Trajectum eruditum virorum doctrina inlustrium qui in urbe Trajecto, et regione Trajectensi nati sunt cet. Traj. ad Rhenum 1738. 4. (alphabetisch).

4. Paquot, Memoires pour servir ä l'histoire litteraire des dix-sept provinces des pays-bas cet. Loeven 1765—70. 3 voll. foL, 18 voll. 8.

5. Biographie nationale publice par l'academie royale des sciences, des lettres et des beaux-arts de Belgique. Brux, 1866 suiv., bis jetzt 5 voll.|

Frankreich.

(Die speziellen sind geeigneten Orts genannt.) Papillon, Bibliotheque des auteurs [de Bourgogne. Dijon 1745. 2 voll. fol. Calmet, Biblioth. Lorraine ou histoire des hommes illustres qui ont fleuri en

Lorraine, cet. Nancy 1751 fol.

Le Long, Bibl. historique de la France, nouv. edit. par Fevret de Fontette,

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Italien.

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XIV

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5. Argelati, Bibliotheca scriptorum Mediolanensium cet. Mediol. 1744. 2 P. in je 2 voll. fol.

6. Poggiali, Memorie per la storia letteraria di Piacenza. Piac. 1789. 2 voll. 4. Vallauri, Storia delle universitä degli stiidi del Piemonte. Tor. 1845 sq. 3 voll. ,

7. Mongitore, Bibliotheca Sicula sive de scriptoribus siciilis cet. Panormi 1707, 1714. 2 T. fol.

8. Narhone della compagnia di Jesu, Bibliografia Sicola sistematica o appa- rato metodico alla storia letteraria della Sicilia. Palermo 1850—55. 4 voll.

9. Mira, Bibliografia Siciliana ovvero gran dizionario bibliografico delle opere edite e inedite, antiche e moderne di autori siciliani o di argomento sici- liano cet. Palermo 1875. 4. 1 Bd. (bis L).

10. (Calvi) F. Ängiolgabriello di S. Maria Carmelitano Scalza , Bibliotheca e storia di quegli scrittori di Vicenza. Vic. 1772—82. 6 voll. 4.

England.

Wood, Athenae Oxonienses cet. ed. Phil. Bliss. Lond. 1813—20. 5 voll. 4. J. P. Bamberger, Biogr. und litter. Anekdoten von den berühmtesten gross- britannischen Gelehrten des achtzehnten Jahrhunderts. Berlin 1786 fg. 2 Bde.

Orden.

1. Legipont, Historia rei literariae ordinis s. Benedict! in 4 partes distributa . . . opus . . . a . . . Ziegelbauer . . . inceptum quidem, sed recensitum, auctum, jurisque publici factum per cet. Aug. Vind. et Herbip. 1754.

2. Tassin, Hist. litteraire de la Congregation de S. Maur cet, Brux. et Par. 1770. 4.

3. Bibliotheque generale des ecrivains de l'ordre de Saint Benoit cet. par un Religieux Benedictin de la Congreg. de St. Vannes. 4 voll. 4. Bouillon 1777 sq. Dasselbe schöpft aus den altern Werken, vrelche die Literaturgeschichte des Ordens behandeln.

Greiderer, Germania Franciscana cet. 2 voll. f. Oenip. 1777 und 1781.

Bibliotheca Scriptorum Societatis Jesu, post excusum a. 1608 catalogum . . . Rihadeneirae nunc hoc novo apparatu librorum ad annum reparatae salutis 1642 editorum concinnata, et illustr. viror. elogiis adornata a Philippo Alegambe. Bruxell. ex ead. soc. J. cet. Antwerp. 1643 fol.

Augustin et Alois de Backer, Bibliotheque des ecrivains de la Compagnie de J6sus ou Notices bibliographiques cet. Liege 1853—61. 7 voll.

InhaltsYerzeicliniss.

Erster Theil. Das katholische Recht.

Seite I. Abtheilung. Die Geschichte der Quellen. I. Kapitel. Geschichte. Theorie.

§. 1. I. Geschichtlicher Gang der Entwicklung 3

I. Rückblick und Resultate seit Bonifaz VIII. IL Reaction im 16. Jahrhundert. Lateran-Concil. III. Auftreten Luther's. Ent- wicklung im deutschen Reiche bis 1555. IV. Resultate. V. Concil von Trient. VI. Landesherrliches Kirchenregiment. VII. To- tale Umänderung des inneren Kirchenregiments, päpstliche Cen- tralisation. VIII. Kirchliche Staatsgesetzgebung. IX. Staat und Kirche seit 1801. X. Verhalten des Papstes seit 1814. Bildung und Gründe des Ultramontanismus, insbesondere in Deutschland, Frankreich^ verkehrtes Verwaltungssystem in Preussen. XL Die Laien: Mittelalterlicher Standpunkt der Kurie. Absolutismus des Papstes. IL Die Theorie.

§. 2. 1. Das päpstliche Recht der Gesetzgebung 41

§. 3. 2. Das Gesetzgebungsrecht der Provinzen und Bischöfe ... 42 §. 4. 3. Die statutarische Gesetzgebung 50

IL Kapitel. Das gemeine Recht.

§. 5. I. Das Concil von Trient 54

IL Die päpstlichen Constitutionen. Das Corpus iuris canonici.

§. 6. 1. Ueberhaupt. Sammlungen 65

§. 7. 2. Die Bearbeitung des Corpus iuris canonici 69

§. 8. 3. Der sog. Liber Septimus P. Clemens' VIII 71

§. 9. 4. Die Entscheidungen der römischen Behörden. Sammlungen . 74

III. Kapitel. Das Particularrecht.

§. 10. 1. Die Provinzialsynoden 80

§. 11. 2. Die Diözesansynoden . . . 89

§. 12. 3. Sammlungen von Synoden 92

IV. Kapitel. Das staatliche Recht.

§. 13. 1. Deutschland, Oesterreich, Ungarn, Polen 101

§. 14. 2. Frankreich 115

§. 15. 3. Italien, Spanien, Belgien, Holland, England 118

IL Abtheilung. Die Literatur, I. Kapitel. Die Schriftsteller und ihre Werke.

§. 16. A. Die Deutschen. Nr. 1 bis 506 123

§. 17. B. Die Italiener. Nr. 1 bis 353 443

§. 18. C. Die Franzosen. Nr. 1 bis 289 552

§. 19. D. Die Belgier und Holländer. Nr. 1 bis 85 677

§. 20. E. Die Spanier. Nr. 1 bis 160 712

§. 21. F. Die Polen. Nr. 1 bis 68 768

§. 22. G. Die Ungarn. Nr. 1 bis 9 777

§. 23. H. Die Engländer. Nr. 1 bis 9 780

§.

1.

§.

2.

§.

3.

§.

4.

§.

5.

XVI

Seite

Zweiter Theil. Das eyangelische Recht.

I. Abtheilung! Die Rechts quellen. I. Kapitel. Geschichte der Entwicklung.

1. Deutschland 3

2. Oesterreich. Ungarn 8

II. Kapitel. Die Quellen.

1. Die symbolischen Bücher 11

2. Die Kirchenordnungen 13

3. Die Staatsgesetzgebung 19

IL Abtheilung. Die Literatur. I. Kapitel. Die Schriftsteller und ihre Werke.

§. 6. A. Die Deutschen. Nr. 1 bis 580 22

§. 7. B. Die Italiener. Nr. 1 bis 3 250

§. 8. C. Die Franzosen. Nr. 1 bis 24 251

§. 9. D. Die Belgier und Holländer. Nr. 1 bis 24 262

§. 10. E. Die Polen und Ungarn. Nr. 1 bis 4 269

§. 11. F. Die Engländer. Nr. 1 bis 40 270

§. 12. G. Die Skandinavier. Nr. 1 bis 12 275

Dritter Theil.

Fortsetzung der zweiten Abtheilung von Theil I. und II.

IL Kapitel. Allgemeiner Charakter der wissenschaftlichen Behandlung in der Schule und in den Schriften.

TM. I. Thl. II.

§. 24. §. 13. 1. Ueberhaupt 279

Aenderung des mittelalterlichen Standpunkts durch das Concil von Trient. Fall der früheren Methode. Aenderung in den Studien. Veränderter Charakter der Universitäten. Erweiterung des Kreises der Studien. Aenderung des Ver- hältnisses der Kirche zur Wissenschaft und zu den Univer- sitäten. Neue Stellung des Staats dazu. Antheil des Klerus, der Orden, der Laien an der Literatur bei den verschiedenen Nationen. Stellung des Kirchenrechts an den Universitäten u. s. w. Prälaten unter den Canonisten.

§. 25. §. 14. 2. Die Schule überhaupt in den einzelnen Ländern 298

Einfluss und Antheil der Universitäten. Antheil der Nationen.

§. 26. §. 15. 3. Die Behandlung in der Schule, insbesondere Sprache und

Methode 310

Lateinische Sprache. Volkssprache. Akademische Disser- tationen. Legalmethode. Offizielle Lehrplane. Lehrbücher. Institutionen. Eigne Systeme. Vorlesungen.

§. 27. §. 16. 4. Allgemeiner Charakter der Schriften 328

§. 28. §. 17. 5. Die Darstellung des positiven Rechts bei den einzelnen

Nationen 337

§. 29. §. 18. IIL Kapitel. Uebersicht der Schriften 349

Alphabetisches Register 380

Alphabetisches Wort-Register 408

Drittes Buch,

Die Greschichte der Quellen und Literatur des Canonischen Eechts

Concil Yon Trient bis zum Jahre 1870,

(1563—1870.)

Scliulte, Gesehiclite. III. Bd. I. Th.

Erste Abtheilung. Die ßechtsquellen,

Erstes Kapitel.

Geschichte. Theorie.

§. 1. I. Geschichtlicher Gsrng der Entwicklung.

I. Bis auf Bonifaz VIII. hatte sich eine Entwicklung auf dem Ge- biete der kirchlichen Gesetzgebung vollzogen, die man theoretisch in folgenden Punkten zusammenfassen kann: 1. Der Papst ist berechtigt, Gesetze und Gesetzbücher mit allgemein verbindlicher Kraft zu erlassen^); 2. der Papst kann eine bestimmte Sammlung als ausschliesslich zum Ge- brauche in der Theorie und Praxis (in der Schule und in den Gerichten) dienende erklären^); 3. es bedarf ausdrücklicher päpstlicher Erlaubniss, um in die anerkannten Sammlungen neue Gesetze einzufügen, oder neue Sammlungen zum rechtmässigen Gebrauche zu veranstalten ^) ; 4. der Papst ist die Quelle des positiven kirchlichen Rechts^); 5. das weltliche Recht gilt in der Kirche nur soweit, als es von derselben, insonderheit vom Papste, anerkannt wird^). Mit den Glementinen ^), welche weder ein ausschliessliches Gesetzbuch waren, noch die früheren Verbote wieder-

1) Siehe Bd. IL S. 6, 40, 48.

2) Bd. IL S. 7, 16, 30 f., 40. ^) Bd. IL S. 7, 30 f.

^) VgL Bd. I. S. 100 Anm. 18. Bd. IL S. 5 f., S. 28, 34 Anm. 3, S. 54 L, 516 ff.

^) Siehe Bd. I. S. 98 ff., Bd. IL S. 54 ff.

') Vgl. Bd. IL S. 48.

holten, änderte sich die Sachlage. Dies zeigte sich formell darin, dass neue Sammlungen, die ohne päpstliche Autorisation gemacht und ob- wohl niemals förmlich anerkannt, sich im allgemeinen Gebrauche befan- den und selbst in die offizielle römische Ausgabe des Corpus juris canonici aufgenommen Avurden ^). Aber auch in materieller Hinsicht war seit dem 14. Jahrhundert eine bedeutende Aenderung eingetreten. Denn es ist unfraglich, dass zahlreiche päpstliche Constitutionen die beanspruchte allgemeine Geltung entweder überhaupt nicht, oder nur dadurch erlangt haben, dass sie von den Concilien oder durch Ver- träge anerkannt wurden^). Der auf den Synoden von Constanz und Basel eingehaltene Standpunkt und die Entwicklung der Verhältnisse im 15. Jahrhundert lassen keinen Zweifel an der praktischen An- schauung, dass ein päpstliches Gesetz als solches an dem in den ein- zelnen Ländern in Kraft stehenden gemeinen Rechte, wie es auf dem Corpus juris und auf besonderen Verträgen ruhe, nichts zu ändern vermöge'-^). Die Ansichten der Theoretiker waren dagegen getheilt; die einen hielten fest an der päpstlichen Machtfülle auch in legislativer Beziehung, die anderen verwarfen sie. Man hatte die Frage philo- sophisch und juristisch in zahlreichen Schriften erörtert, auch bereits zum Gegenstande historischer Untersuchung gemacht. Sie war seit Bonifaz VIII. in steter Beziehung zu einer andern behandelt worden^ nämlich zu der über das Verhältniss des Papstes (der Kirche) zu dem Kaiser (Könige, Staate) ^'^). Der praktische Zustand am Ende des 15. Jahrhunderts war höchst unklar. Drei Punkte stehen jedoch ausser Zweifel. Das weltliche Recht war auf das kirchliche so gut wie gänz- lich einflusslos geworden, letzteres befand sich vielmehr in vollem Widerspruch mit den auf dem wirthschaftlichen Gebiete bestehenden Einrichtungen und Bedürfnissen i^). Die Päpste hatten es fertig ge- bracht, die ihnen auf dem weltlichen Rechtsgebiete entgangene Macht auf das Gewissensgebiet zu übertragen und die Forderungen der Moral zu rechtlichen Sätzen zu erheben i^); das canonische Recht hatte für das Gebiet des Privat-, Straf-, Civil- und Strafprozess-Rechts den Cha- rakter eines gemeinen in Deutschland und auch in anderen Ländern erlangt.

IL Im Anfang des 10. Jahrhunderts trat eine Reaction gegen die Entwicklung des vorhergehenden ein. Sie fasste feste Wurzeln in einer

0 Siehe Bd. II. S. 50 ff.

«) Siehe Bd. II. S. 55 ü\

«) Siehe Bd. IL S. 57 ff.

*^) Siehe die im Bd. IL S. 511 zusammengestellten Schriftsteller.

'') Siehe Bd. IL S. 524 f.

^■-) Siehe die Bd. IL 8. 512 geschilderte Entwicklung.

5 ~

Zeit, welche scheinbar die ungünstigste war. Der Humanismus, die gänzlich veränderten volkswirthschaftlichen Zustände, die Erfindung der Buchdruckerkunst, die Umgestaltung auf dem staatlichen Gebiete, die auf dem päpstlichen Stuhle thronende Glaubenslosigkeit schienen das Mittelalter mit seinen Ideen und Schöpfungen vernichtet zu haben. Und am Wendepunkte der alten und neuen Zeit vollzog der Papst die rückhaltlose Aufrichtung der weitgehendsten Sätze, welche das Mittel- alter über die päpstliche Machtfüile aufgestellt hatte. Gerade das, was der mittelalterlichen Gesellschaftsverfassung den Todesstoss gegeben hatte, wurde die Grundlage und das Mittel zur praktischen Durchfüh- rung der tiefgreifendsten Ideen des Mittelalters. Julius II. erklärte in der vierten Sitzung des Lateran-Goncils ^^), die päpstlichen Dekrete seien gleichsam aus göttlicher Inspiration erlassen; Leo X. machte in dessen zehnter Sitzung vom 4. Mai 1515 den Druck jeder Schrift von kirch- licher Erlaubniss abhängig unter Strafe der Excommunication ^^), er- neuerte und approbirte in der elften Sitzung vom 19. Dez. 1516 die Bulle Unayn sanctam von Bonifaz VIII. ^^), erklärte in derselben Sitzung für nichtig die französische Pragmatische Sanction ^^) und verbot jeden Gebrauch, selbst ein Gitat daraus, sowie ihren Besitz bei Strafe des von selbst eintretenden grossen Bannes. Da dieses Lateranensische Goncil in Rom stets als ein ökumenisches angesehen wurde, war eine Aenderung dieses Standpunktes fortan nur möglich, ^venn man die Ansicht der römischen Curie von der Unfehlbarkeit des Papstes und eines allgemeinen Goncils fahren liess. Anstatt dessen hielt] man an dem Lateranensischen Dekrete. Die unbedingte Berechtigung des Papstes zur Erlassung jeglichen Gesetzes, soweit \er ein solches für nöthlg erachtete, jedweden Aktes gegenüber staatlichen Gesetzen u. s. w. war mithin nach römischer Auffassung als kirchliche Lehre festgestellt.

in. Am 16. März 1517 wurde das Lateran-Goncil mit der zwölften Sitzung geschlossen, am 31. Oktober desselben Jahres schlug Dr. Martin Luther an der Schlosskirche zu Wittenberg jene 95 Thesen an, welche die Reformation einleiteten. Die Bulle Leo's X. Exsurge Domlne vom 14. Juni 1520 steht sofort auf dem eingenommenen Standpunkte^).

*^) Sa. Lateranen. Concilium novissimum sub Jiilio II. et Leone X, celebra- tum, 1521 in 4", Fol. XLIX b. Meine Schrift ,Die Macht [der römischen Päpste^ 2. Aufl. Prag 1871 S. 45.

^^) Cit. Ausg. Fol. CLI, meine cit. Schrift S. 46.

i'^) Ausg. Fol. CLXXXV sq., meine cit. Schrift S. 28.

^^) Bulle Pastor aeternus. Meine cit. Schrift S. 49.

^0 Sie verdammt eine Reihe von Sätzen, v^^elche keinem formulirten Glaubens- satze, sondern blossen Schulmeinungen widersprachen, und sucht geradezu die angedeutete Stellung des Papstes als Glaubenslehre hinzustellen (z. B. die Sätze 17, 25, 26, 28 für letzteres).

6

Die Entwicklung der kirchlichen Verhältnisse im deutschen Reiche und in England wurde massgebend für die fernere Gestaltung, indem die reformatorischen Bestrebungen in den übrigen continentalen Staaten, abgesehen von der Schweiz, zu einer grundsätzlichen Veränderung der Stellung der katholischen Kirche und der staatlichen Gesetzgebung in kirchlichen Dingen bis zum Goncil von Trient nicht geführt haben. Schon die Vorladung Luther's vor den Reichstag ist der Anfang einer neuen Entwicklung, weil nach dem bis dahin geltenden Rechte nur die geistliche Gewalt in Glaubenssachen zu untersuchen und zu richten, die weltliche das Urtheil jener auszuführen hatte. Die Ausführung des Wormser Edicts vom 8. (26.) Mai 1521, in welchen^ sich der Kaiser auf den alten Standpunkt stellte, misslang, die zu Nürnberg 1522/23 versammelten Reichsstände forderten die Reform durch ein allgemeines Concil; es wurden die gravamina centum adversus Sedem Romanam ac totum ecclesiasticum ordinem vorgelegt, das Wormser Edict 1524 sus- pendirt und auf's Neue das Concil verlangt. Die Regenshurger Einigung vom 6. Juni 1524 zwischen dem Cardinal-Legaten Campegip, dem Erz- herzog Ferdinand, Herzog von Bayern und den Bischöfen zur Aufrecht- haltung des bisherigen Zustandes rief auf gegentheiliger Seite das Bünd- niss von Torgau vom 4. Mai 1526 zwischen dem Kurfürsten Johann von Sachsen und Landgraf Philipp von Hessen mit Braunschweig, Mecklenburg, Mansfeld, Anhalt und der Stadt Magdeburg hervor. Im Reichsabschied zu Speier vom 27. August 1526 §. 4. vereinigten sich die Stände: »mitler Zeit des Concilii oder aber National-Versammlung nichts desto minder mit ihren Unterthanen, ein jeglicher in Sachen, so das Edict, durch Kaiserl. Majestät auf dem Reichstag zu Worms ge- halten, ausgangen, belangen möchten, für sich also zu leben, zu regieren und zu halten, wie ein jeder solches gegen Gott, und Kaiserl. Majestät hoffet und vertraut zu verantworten.« Damit war ein neuer Schritt geschehen, denn im Grunde waren nun die Religionsangelegenheiten als Sache der Landesherren erklärt. Im Reichsabschied zu Speier vom 22. April 1529 §. 4. wurde unter Erneuerung des Verlangens nach dem Concil beschlossen: »dass diejenigen, so bei obgedachtem Edict bis anhero verblieben, nun hinfüran auch bei demselbigen Edict bis zu dem künftigen Concil verharren, und ihre Unterthanen dazu halten sollen und wollen. Und aber bei den andern Ständen, bei denen die anderen Lehren entstanden, und zum Theil ohn merkliche Aufruhr Beschwerd und Gefährd nicht abgewandt werden mögen: soll doch hinführo alle weitere Neuerung bis zu künftigem Concilio, so viel mög- lich und menschlich, verhütet werden.« Dagegen hatten die dissen- tirenden Stände unterm 19. April eine Protestation eingereicht, welche die Veranlassung zu dem Namen Protestanten gab. Sie legten auf dem

Reichstage zu Augsburg 1530 ein ausführliches Bekenntniss vor, welches als Confessio Augustana , da die in Aussicht genommene Vereinigung unterblieb, sowohl den Namen für seine Anhänger, Confessioni Augusta- nae Addicti, Augsburgische Confessionsverwandte, abgab, als auch Quelle und Grundlage der Anerkennung im Reiche blieb, zugleich einen festen Einheitspunkt bildete. Da das Goncil ausblieb, erfolgte 1532; zu Passau 1552 und zu Augsburg 1555 die förmliche Anerkennung i^).

IV. Das deutsche Beich hatte somit rechtlich und faktisch gehrochen mit dem System 'des Mittelalters. Denn die geschilderten Massregeln rechtfertigen die Aufstellung folgender Sätze: 1. Das Reich übte die Berechtigung, eine Religion, Kirche anzuerkennen. 2. Der Religions- wechsel war im Reichsrechte nicht mehr unerlaubt, die Ketzerei ferner- hin kein gemeinrechtliches Verbrechen ^^), obwohl sie nach Landesrecht diesen Charakter behalten konnte. 3. Der Staat war im Sinne jener

^^) Nachdem die Versuche zur Unterdrückung der neuen Lehre misslungen waren , welche der Kaiser unter Schilderung des aus dem Religionszwiespalte für das Reich hervorgehenden Schadens im Eingange des R. A. zu Augsburg von 1548 aufzählt, erliess er auf diesem Reichstage das berühmte Interim (R. A. §. 15.) bis zum endlichen Austrag des Concils. Diese ^,Der Römischen Kayserl. Maj. Er- klärung, wie es der Religion halben im Heil. Reich, biss zu Austrag dess gemeinen Concilii gehalten werden soll, auf dem Reichstag zu Augspurg, den 15. May, im Jahr 1548 publicirt und eröffnet, und von gemeinen Ständen angenommen", welche eine theologische Exposition der Lehre u. s. f. enthält, zu deren Erlassung und Festsetzung sich der Kaiser zufolge seiner Advocatia für verpflichtet erklärte, blieb aus naheliegenden Gründen ohne Erfolg. Zur Beendigung der Streitigkeiten wurde dann der Passauer Vertrag 1552, .2. Aug. geschlossen, dessen §. 6, 7 noch- mals einen Reichstag wünscht zur Beschaffung der Mittel, die Religionsstreitig- keiten beizulegen, worauf dann §. 8 bestimmt : „Und mittler zeit weder die Kays. Majestät wir, noch Churfürsten, Fürsten und Stände des H. Reichs, keinen Stand der Augspurg. Confession verwandt der Religion halber mit der That gewaltiger Weiss oder in andere Weg, wieder sein Conscientz und Willen tringen, oder der- halben überziehen , beschädigen , durch Mandat oder einiger ander Gestalt be- schweren oder verachten, sondern bey solcher seiner Religion und Glauben ruhiglich und friedlich bleiben lassen." §. 9 enthält dasselbe bezüglich der protestantischen Stände gegenüber den katholischen. Im Religionsfrieden zu Augshurg 1555 wurde dann die endliche Ausgleichung getroffen. Der Reichs-Abschied sichert im §. 15 den Augsburgischen Confessionsverwandten dieselben Rechte als §. 8 des Passauer Vertr. zu, aber mit viel grösserer Macht, indem er dies auf alle künftige Ord- nungen u. s. f. in kirchlichen Dingen erstreckt; §. 16 garantirt den Katholiken dasselbe 5 §. 18 statuirt den sogen, geistlichen Vorbehalt [Reservatum ecclesiasticumj ; §. 20 suspendirt „biss zu endlicher Vergleichung der Religion" die geistliche Juris- diction total „wider die Augspurgischen Confessions-Verwanten, Religion, Glauben, Bestellung der Ministerien, Kirchengebräuchen , Ordnungen und Ceremonien, so sie uffgericht oder uffrichten möchten", jedoch unbeschadet Aveltlicher Rechte.

^^) Die peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karl's V. v. 1533 kennt daher das Verbrechen der Ketzerei nicht mehr.

8

Zeit das Reich, damit kam an die Reichsstände, also faktisch an die Landesherren und Obrigkeiten der Reichsstädte, was Recht des Staats gewesen war, oder hätte werden sollen. 4. Der Wechsel innerhalb der anerkannten Gonfessionen war den Landesherren gestattet. Hieraus ergab sich bezüglich der Unterthanen entweder das Recht auf Belassung des augenblicklichen Zustandes, oder der Satz, dass der Landesherr über die Religion des Territorium zu bestimmen habe. Die Ausschliess- lichkeit der katholischen Religion hatte aufgehört, die bisherige einzige Kirche bildete nicht mehr die Grundlage der Gesellschaft, an die Stelle der einen Kirche der christlichen Gesellschaft traten landesherrliche Kirchen j die den Charakter von Staatskirchen annahmen.

V. Inzwischen hatte sich innerhalb der Gemeinschaften, welche der neuen Lehre anhingen, auf dem Gebiete der eigentlichen Lehre und der Organisation des Kirchenwesens eine Umgestaltung und Entwicklung vollzogen 2"), welche einen Bruch mit dem bisherigen Rechte und die Aufrichtung eines besonderen, protestantischen oder evangelischen Kirchen- rechts zur Folge hatte, das fortan neben dem katholischen seinen Platz findet. An dieser Entwicklung^') hat das Concil von Trient nicht nur nichts geändert, sondern eine Wiederherstellung des früheren Zustandes im Wege der Vergleichung völlig unmöglich gemacht. Es gelang, auf Grund einer Bestimmung dieses Goncils den Satz: Der Papst steht über dem positiven Rechte^ durchzusetzen. In engster Verbindung damit steht die seither eingetretene Centralisation der Leitung der Kirche in der Hand des Papstes durch eigene oberste Adyninistrativbehörden^^). Der Sieg dieses Systems, wonach die Kirche als rechtlich organisirte Gesell- schaft im Papste aufgeht, ihr Recht im Papste seine Quelle hat, wurde erst durch die seit dem 16. Jahrhundert eingetretene Entwicklung mög- lich. Die Gründe liegen in der veränderten Stellung der Kirche in der Gesellschaft, zur Gesellschaft , zum Staate, sodann in dem modernen Staatssysteme selbst.

VI. Das Mittelalter hatte trotz aller Störungen oder Eingriffe Seitens einzelner Fürsten im Rechtsleben an der Theorie festgehaltenes), dass die kirchlichen Sachen, causae ecclesiasticae, der Kirche unterständen. Man sah demgemäss die Kirche für berechtigt an, nicht blos gesetzlich das Gebiet der Kirchensachen zu umgrenzen und über die einzelnen Gegenstände Bestimmungen zu treffen, sondern auch die Gerichtsbar- keit in allen causae ecclesiasticae zu üben. Wohl hatte mancher Re-

2°) Siehe Theil IL §. 1 fg.

") Die nähere Ausführung in ^. 5 besonders Nr. V. ^^) Siehe auch die Ausführung in den §§. 2. 9. 10.

2^) Siehe die Darstellung in meiner Lehre von den Quellen des katliol. Kirchenr. Giessen 1860- S. 387 ff.

9

gent über solche Dinge Anordnungen erlassen, aber diese waren ent- weder zur Durchführung der kirchlichen, also im kirchlichen Geiste erlassen und damit von der Kirche gebilligt, oder sie boten den Anlass zu jenen Gonflicten, an welchen das Mittelalter reich ist. Man stritt auch in der Theorie nicht über dies Prinzip, sondern nur darüber , ob ein einzelner Punkt darunter falle. Als Prinzip stand Allen fest: der weltliche Fürst kann nichts über kirchliche Dinge bestimmen. Der Fürst stand aber selbst in der Kirche und unter dem kirchlichen Rechte. Anders seit dem 16. Jahrhundert. In den der protestantischen Lehre zugewandten Territorien ward allmälig mit geringen Ausnahmen das landesherrliche Kirchenregiment als in der Lehre begründet angesehen und im Leben verwirklicht (Th. 11. §. I). Wohl blieb in den katholischen Territorien theoretisch das canonische Recht in Geltung. Gleichwohl brach sich auch in diesen die gleiche Anschauung Bahn, was seine leichte Erklärung findet. Man konnte nach den angeführten Gesetzen und der Entwickhing im deutschen Reich (Nr. IIL IV.) nicht daran zweifeln, dass die Belassung der katholischen Kirche in ihrem bisherigen Bestände juristisch nur der Gnade des Landesherrn zu danken war, der von seinem Rechte des Wechsels keinen Gebrauch machte. Die Ordnung der kirchlichen Dinge war somit unzweifelhaft als landesherr- liches Recht anerkannt. Wenn die katholischen Landesherren sich im Gewissen oder aus Politik das Motiv des Einzelnen ist für die histo- rische Entwicklung gleichgültig verpflichtet erachteten, die katholische Kirche ausschliesslich zu dulden, so blieben sie sich dessen bewusst, dass sie dies aus landesherrlicher Machtvollkommenheit thaten ^^.) Es bildete sich daher in allen deutschen Territorien der Begriff der Staats- kirche aus. Der Staat stand aber jetzt nicht mehr in der Kirche nach mittelalterlicher Anschauung, sondern der Landesherr erkannte eine be- stimmte Kirche als die seines Landes an. Die gänzlich veränderte Stellung der Kirche im deutschen Reiche führte mit Nothwendigkeit zu analoger Auffassung ausserhalb desselben ^^). Waren auch seit Jahr- hunderten die Kaiser thatsächlich nicht mehr die Vertreter der Christen- heit, so lehnte sich doch im ganzen Mittelalter die Theorie über das Verhältniss der Kirche zum Staate an die des sacerdotium und Imperium. Die kaiserliche Adoocatia ecclesiae ivar eine leere Redensart , im alten Sinne unmöglich^ ja unwahr geworden (§. 13), jeder Landesherr war Schirmvogt derjenigen Kirche, welche er als die seines Landes aner- kannte. Die Könige von Frankreich, Spanien u. s. w. hatten bereits im Mittelalter ihre Selbstständigkeit gegenüber den Päpsten zu behaupten

*) Unter §. 13 wird der Beweis dafür geliefert. ^) Die

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gewusst. Es wäre wunderbar gewesen, wenn sie sich als Landesherren nicht das gleiche Recht der Ordnung der kirchlichen Dinge beigelegt hätten, das jeder deutsche Duodezfürst besass. Das Staatskirchenthmn trat überall ein. Die Päpste selbst haben dies dadurch gefestigt, dass sie unaufhörlich die katholischen Fürsten aufforderten, die Ketzer zu vertreiben, ihre Länder rein zu halten, den Klerus zur Botmässigkeit zu führen. Mit ausdrücklicher päpstlicher Zustimmung, oder mit päpst- licher Gonnivenz bildete sich im 16. und 17. Jahrhundert ein Regie- rung ssystem aus, in dem die Religion und Kirche als politische Ange- legenheit erscheinen, Wohl haben die Päpste niemals im Prinzipe den Landesherren das Recht zugestanden, aus eigenem Rechte kirchliche Dinge zu regeln. Was sie aber durch zwei Jahrhunderte vortrefflich gefunden, weil und soweit es in ihrem Sinne gehandhabt wurde, das prinzipiell zu bekämpfen hatten sie das Recht verloren, als es eine an- dere Richtung annahm. Denn ein Landesherr , der sich als solcher berechtigt hielt, die Ausübung einer Religion zu verbieten, nicht weil sie an sich schlecht sei, sondern aus politischen Gründen, durfte sich auch, wenn die ^Staatsraison^ sich änderte, zum Gegentheil berechtigt halten. So wurde das Religiöse, Kirchliche bei den Päpsten, wie in den Territorien zum Gegenstande der Politik, ihr gab man das Wohl der Kirche preiste). Die Folge dieses Systems war, dass die Religion allenthalben als etwas Aeusserliches erschien, das nach den gleichen Gesichtspunkten, wie die Polizei, gehandhabt wurde, gleichen Zwecken diente. War schon seit vielen Jahrhunderten die Gemeinde innerhalb der Kirche als ein anerkanntes Glied aus dem Rechte herausgedrängt, so wurde sie jetzt sogar für den Glauben zur Passivität herabgedrückt. In der weiteren Entwicklung musste der Sieg nothwendig dem zu Theil werden, der es am besten verstand, die Masse zu beherrschen. Vor- erst gingen die Päpste und Fürsten Hand in Hand. Im deutschen Reiche hatte die Reformation den Landesherren eine Vermehrung ihrer Macht gegeben, die ihnen zur vollen Entwicklung der unbeschränkten Landesherrlichkeit wesentliche Dienste leistete. In den katholischen stand es nicht anders, der Kaiser war namentlich in die Lage gekom- men, die kirchlichen Wirren zur Veranlassung zu nehmen, um sich aller seiner Gewalt entgegenstehenden Fesseln zu entledigen ^ 7). Es trat in den katholischen Territorien des deutschen Reichs auf dem staatskirchlichen Gebiete die absolute Gesetzgebungsgewalt der Landes- herren ein, welche in Frankreich, Spanien u. s. w. bereits vorhanden

2") Beweis dessen die zalillosen Fälle der Belassung mehrerer Bisthümer in einer Hand , deren Besetzung rein nach politischen Rücksichten u. s. w. Siehe §. 10. Anm. 7.

2") S. §. 13 Nr. V.

~ 11

war. Dieser Staatsabsolutismus, der sich in allen grösseren continen- talen Ländern entwickelte, hatte auf die Stellung des Papstes in der Kirche und zu den Einzelstaaten eine unmittelbare Rückwirkung. War deren Gentralisation schon seit dem Tridentinum zur Thatsache geworden, so zeigte sich jetzt, dass der Zug der Zeit ihr noch günstiger wurde 2^). VII. Der Zustand seit dem 16. Jahrhundert prägt sich in folgenden Erscheinungen aus. Auf dem innerkirchlichen Gebiete tritt an die Stelle des festen rechtlichen Ganges, welchen das canonische Recht kennt, in den wesentlichsten Dingen eine Administrativjustiz ein, deren letzte In- stanz römische Behörden wurden. Die Jurisdiction der Metropoliten in der zweiten Instanz wurde thatsächlich auf die Ehesachen und jene Fälle beschränkt, wo Privatrechte in Frage kamen. Durch das immer mehr sich entwickelnde Institut der Snspensio ex informata conscientia^^) mit Zulässigkeit des blossen Recurses an eine römische Congregation wurden die Beneficiaten allmälig lediglich vom Bischöfe und Papste abhängig, verschwand ihre im canonischen Rechte festgegründete Stel- lung. Das Recht der Metropoliten zur Visitation ihrer Suffragan-Bis- thümer hörte in Folge der tridentinischen ^^) Bestimmungen faktisch auf, damit trat die Alleingewalt der Bischöfe ein, welche durch das Verhältniss zum Papste bedingt wurde und deren volle Abhängigkeit von diesem herbeiführen musste. Die tridentinischen Sätze über die Erziehung und Aufnahme derjenigen, welche sich dem geistlichen Stande widmen wollten, machte es den Bischöfen möglich, mit unbeschränkter Gewalt, ohne Zulässigkeit des Rechtsweges zu handeln. Durch die Art, wie die Bischöfe mit ganz wenigen Ausnahmen unter offenbarer Conni- venz Roms 31) die Sätze desselben Concils über die Besetzung der

^^) Es ist nicht überflüssig , den Gegensatz zum Mittelalter hervorzuheben. Auch dieses strebt der römischen Gentralisation und durch sie dem päpstlichen Absolutismus allgemach zu, aher stets in streng juristischen Formen. Es bleibt die Berufung an den Metropoliten und den Papst in allen Rechtsangelegenheiten, auch der Benefizien, Disciplin ; es bleibt die disciplinäre und richterliche Gewalt der Synoden ; in diesen selbst sind noch Elemente der Selbstständigkeit vorhanden : Aebte , Pröpste u. s. w. der alten exemten Orden. Für den Historiker ist's klar, dass mit der wesentlichen Aenderung der wesentlichen Factoren des mittelalter- lichen Kirchenwesens nur die Alternative blieb : entweder Aufgehen der Kirche im Papste, oder Rückkehr zum Gemeindeprinzip der alten Kirche.

29) Siehe die Literatur. Mein Lehrbuch S. 373.

30) Sess. XXIV. C. 3. de ref. Mein Lehrbuch S. 357.

^^) Siehe mein Lehrbuch S. 300; die Anstellung ad nutum episcopi.

Man führte übrigens die Prüfung behufs Erlangung von Benefizien, anstatt strenger Prüfungen nach absolvirten Studien offenbar nur ein, um den Klerus in der Hand zu haben. Geweiht wird fast Jeder, das Ausschliessen wegen höherer L^nwissenheit ist kaum bekannt.

Wesshalb liess man die Besetzung intra certum tempus thatsächlich fallen?

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Pfarreien ausführten, kam die Besetzung ganz in ihre Hand; der Recurs ging nur nach Rom, seine Erledigung konnte nach anderen, als recht- lichen Motiven, stattfinden ^^j. So war von langer Hand ein System vorbereitet, das in unserem Jahrhundert zum nackten kirchlichen Ab- solutismus führte, welchen der politische in der, wie die Thatsachen ergeben, falschen Voraussetzung, ihn sich dienstbar machen zu können, begünstigte und direct stützte. Rechtlich wurde in Frankreich der ganze Klerus mit winzigen Ausnahmen (ad nutum episcopi amovibilis) vom Ordinarius absolut abhängig; faktisch wusste der Episcopat anderer Länder zu demselben Resultat zu gelangen. Gekräftigt und vorbereitet war dieses System dadurch, dass die Kurie in allen Ländern, wo sie in die Lage kam, der katholischen Kirche wieder Eingang zu verschaffen, von dem canonischen Rechte abging^ an Stelle von Ordinarien mit den Rechten und Pflichten der Bischöfe des canonischen Rechts päpstliche Vicare setzte mit unbeschränkter, weil lediglich von der .römischen Gentralbehörde der Gongregatio de Propaganda Fide^^) abhängigen, Gewalt nach unten, mit absoluter Abhängigkeit von Rom. Und auch dort, wo man zur Einsetzung der normalen Hierarchie in neuerer Zeit schritt 3*), kam es weder zu einer Aenderung nach unten noch auch nach oben, weil man nur Personen nahm, die durch ihre Erziehung in dem römischen Systeme volle Garantie boten. Die ßischöfe selbst wurden für alle wichtigen Fälle der Leitung durch die Vorbehalte Seitens der Päpste auf dem Rechts- und Gewissensgebiete vom Papste ab- hängig, der ihnen zur Handhabung seiner Rechte Ermächtigungen ver- lieh, die in jedem Augenblicke geändert werden konnten. Diese Dis- pensfakultäten machten es, da bei der Dispens stets der Auftrag bezw. die Ermächtigung bei Strafe der Nichtigkeit erwähnt werden muss, jedem Seelsorger klar, dass der eigentliche Regierer der Diözese der Papst sei. Wo die Fakultät aufhörte, mithin der Papst direct ange- gangen werden musste, kam es auch den betheiligten Gläubigen in's unmittelbare Bewusstsein, dass der Papst, nicht ihr Bischof, in wich- tigen Dingen das Recht zu handeln habe. Mit diesen Fakultäten Avurde die directe oder mittelbare Dispens der Päpste von den wichtigsten Gesetzen zur Regel ^5). Man änderte selbst solche Gesetze nicht, deren Anwendung in Folge veränderter Verhältnisse sich als verderblich er-

»2) Es ist Thatsache, dass deutsche Bischöfe, z. B. die letzten von Breslau und Limburg, in Rom und zwar mit Erfolg erklärten, sie müssten resigniren, wenn ihre ürtheile cassirt würden. Vgl. auch mein Lehrbuch S. 329, Anm. 26.

^^) Ueber das System dieser giebt das Werk von 0. Mejer, Die Propaganda, das historische und rechtliche Material. °

^^) England, Kordamerika, Holland.

^'^) Siehe das Werk von 0. Mejer, Die Literatur, mein* Lehrbuch S. 392 ff.

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wies, weil man in der Dispens eine Handhabe der Macht und zugleich eine Quelle von Einnahmen besass^^). Eine gleiche Concentration ge- lang auf dem Gebiete des Ritus, der Indulgenzen und der Gensur wiederum durch tridentinische Sätze ^^). Mit dieser Entwicklung ging parallel die Vernichtung der alten Selbstständigkeit der Wissenschaft und ihrer Trägerinnen, der Universitäten^ Studia generalia. Ihr Charakter als christlicher Weltinstitute war durch die neuere Staatsentwicklung gefallen, sie kamen unter die Gesetzgebung und Aufsicht, allmälig ge- radezu unter die Leitung, mindestens Vormundschaft der Regierungen. Rom hat zuerst im Interesse der Gensur und der Erhaltung seiner Oberherrschaft ihre Gewalt gebrochen. Durch die ergriffenen Massregeln kam es dahin, dass die üebung des Lehramts für die (Religion) Theo- logie abhängig wurde von bischöflicher Erlaubnisse^). Da aber die päpst- liche Entscheidung eine höhere war, trat die päpstliche Machtfülle auch auf diesem Gebiete ein. Hatten vordem die Goncilien Lehren verworfen, so wurde das fortan von den Päpsten in einem stets grösseren Umfange geübt ^^). Gleichen Schritt mit dieser Entwicklung hielt die systematische

^^) Giebt es eine stärkere Ironie , als wenn die österreichische Instructio pro judiciis ecclesiasticis quoad causas matrimoniales §. 80. sagt: ,E]3iscopi, cum cano- nicae non deficiant rationes , faciles erunt in utendo facultatibus a. S. Sede con- cessis , seqnentia quoad impcdinienta" (zählt 5 Arten aul) ? Es bedarf praktisch gar keines Grundes, man braucht's nur richtig anzufangen und die Taxe zu zahlen, um jede Dispens zu erlangen. Die Hälfte aller wird auf Grund unwahrer „Gründe'' ertheilt. Welcher Grund liegt denn z. B. vor, einem Katholiken (Katholikin) die Ehe mit einer reichen Jüdin (reichen Juden) zu erlauben ? wie das nach öfTenl- lichen Nachrichten Leo XIII. schon tliatv

^') Anstatt eine wirkliche JReform des Gerichtsu-eseris (Prozesses) ^ orzunehmen. Hess man zu, dass das ganze Disciplinarverfahren zur administrativen Willkür wurde ; nur in Rom bildete sich ein Yerlahren aus, dessen einziger Vorzug darin besteht, dass es Alles möglich macht ich habe einen auf eine Klage gegen einen Erzbischof bezüglichen Origiiuübrief gelesen, worin dem Erzbischof ganz naiv geschrieben wird, der Card. Präfect der Congr. Conc. habe die Sache vertagt, als er in der Sitzung gesehen, die Cardinäle seien für die Kläger gegen denselben gestimmt und allenfalls zu Darstellungen Anlass giebt, die Leuten Interesse einflössen können, welche nicht begreifen, dass über lauter Lapi^alien das Recht zu Grunde geht. Eine Partei, die in einem Jahre eine Sache in Rom zu Ende bringt, die jeder Richter in 24 Stunden erledigen kann, muss sich gratuliren. Ist das noch Justiz, wenn z.B. die Congr. Conc. jetzt monatlich eine Sitzung hält, fünf Monate lang- aber Ferien hat? Wäre das Volk noch in der Lage, Sachen zur gerichtlichen Verhandlung nach Rom bringen zu müssen , so würde der Nimbus bald dahin sein. Und nun erst die sibyllinischen Urtheile !

^^) Diese Entwicklung führt aus mein Aufsatz über die missio canonica im Archiv f. kath. Kirchenr. XIX. 1 tf.

^®) Leo X. hatte schon in Bulla Exsurge Domine 41 Sätze condemnirt : Pius V. u. s. w. condemnirten 79 des Michael Baius\ die Condemnation von 5 propositiones Com, Jansimi, von 45 durch Alexander VII., 65 durch Innocenz XL,

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Unterdrückung der partikulären RechtsentwicMung, welche nicht hn römi- schen Geiste stattfand. Man hatte die Publikation der Akten und Be- schlüsse der Provinzialsynoden von der Prüfung und Approbation ihrer Beschlüsse durch eine römische Behörde abhängig gemacht (§. 10). Nothwendige Folge war entweder das Unterbleiben oder eine Richtung derselben, wodurch sie die besten Stützen der päpstlichen Universal- gewalt wurden. In jedem Falle wurde dafür gesorgt, dass, wenn eine einzelne Provinzialsynode die Papstmacht nicht positiv förderte, sie mindestens nichts gegen dieselbe sagen durfte. Die neuen Papstgesetze fanden selbstverständlich sofort Aufnahme in dieselben. Mit dem Fort- falle jeder Selbstständigkeit der Provinzialsynoden und dem eingetretenen Gentralregiment verloren die Diözesansynoden ihre Bedeutung. Wozu solche, da die provinziellen für das partikuläre Leben nichts wirklich Erspriessliches schaffen konnten; die Diözesansynoden nach der römi- schen Theorie lediglich als berathende Körper fungiren, von einer Uebung der Gerichtsbarkeit, einer Gontrole bischöflicher Verwaltung keine Rede ist, die wenigen ihnen noch vom Goncil von Trient zuge- wiesenen Angelegenheiten bezw. Rechte ^<^) theils deshalb unpraktisch wurden, weil man die Voraussetzungen für ihre Ausübung nicht ge- schaffen hatte, theils in Folge päpstlicher Fakultäten vom Bischof selbst geübt werden konnten? Mochten die Bestimmungen des Goncils von Trient über die Pflicht zur Abhaltung von Provinzial- und Diözesan- synoden noch so präcis sein^^), man gewöhnte sich daran, das Recht zu ignoriren; es musste sich die allgemeine Anschauung bilden, für den Oberen gebe es keinen zwingenden Rechtssatz, kein Strafgesetz, wenn der Papst mit ihm zufrieden sei, der Untergebene finde sein Heil nur in der Geneigtheit des Bischofs. Provinzial- und Diözesan-Synoden konnten

der 68 des Mich, de MoUnos durch Innocenz XL, von 28 unter Innocenz XII., 101 in der Bulle Unigenitus Clemens' XL, die Bulle Auctorem fidel Pius VI. mit ihren 85 sind hinlängliche Proben ; Pius IX. hat bekanntlich alle Vorgänger über- troflfen. Die Hauptblüthenlese giebt H. Denzinger, Enchiridion Symbolorum et defmitionum cet. Wirceb. 4 ed. 1865. Die wirkliche Dogmengeschichte lehrt, dass die christliche Kirche in dem ersten Jahrtausend ihres Bestandes keine Ahnung von den Hunderten von Sätzen hatte", die seit 1520 als dogmatische durch solche Dekrete geschützt worden sind.

^*') Wahl der Examinatoren für die Pfarrconcursprüfung : Sess. XXIV. c. 18. de ref., Annahme der Tridentinischen Dekrete : Sess. XXV. c. 2. de ref., Reduction der Messen: Sess. XXV. c. 4. de ref., Wahl vonjudices, denen der Papst die Ent- scheidung zu delegiren habe: Sess. XXV. c. 10. de ref. Man Hess sich durch den Papst zur Aufstellung von examinatores und judices ^rosynodales autorisiren.

''O Sess. XXIV. c. 2. de ref. erneuert für den Fall der Nichtabhaltung der ersteren singulis trienniis, der letztere quotannis .poenas s. canonibus sancitas', d. h. die in c. 25. x. de accusat. V. 1. (bezüglich der Prov. Synoden) verfügte Amtssuspension. So waren und sind fast alle Erzbischöfe suspendirt !

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schliesslich zu einer Form werden, die nicht einmal einen äusseren Eindruck machte *2). Getragen wurde diese Entwicklung durch ein weiteres Moment von der höchsten Bedeutung.

Rom hatte schon früh die Klöster als Stützpunkte seiner Macht gegen die Bischöfe benutzt und namentlich hatten Gregor VII. und seine Nachfolger mit Hülfe der General-Gongregationen ^^) ihre Reformpläne durchgesetzt. Nur dem römischen Interesse ist es zuzuschreiben, dass alle Klagen über den Verfall der bischöflichen Gewalt ungehört ver- hallten, dass die Exemtion der Orden blieb und selbst in den Ärchi- diaconen eine zweite Macht aufkam, die des Bischofs Gewalt wesentlich beschränkte. Der Vortheil, den eine centralisirte geistliche Genossen- schaft bot, hatte sich in den Generalcongregationen , insbesondere der von Glugny, gezeigt; er wurde seit dem 13. Jahrhundert in den Mendicanten- Orden der Dominikaner (J216) und Franziskaner (1223) noch evidenter. Tausende von Mönchen, die durch den Gehorsam Einem Obern unterworfen und über die ganze Kirche zerstreut waren, aus der gewöhnlichen sozialen und rechtlichen Stellung austretend 'keiner Diözese, keinem Lande, sondern nur einer Ordensprovinz an- gehörten, raussten als Kirche in der Kirche ein Werkzeug kolossalen Einflusses bilden , wenn der Obere mit dem Papste ging. Ist auch vereinzelt eine Opposition gegen Rom entstanden, im Ganzen waren diese neuen Orden und alle seit dem 13. Jahrhundert entstandenen und wesentlich, soweit das hier in Betracht kommende Moment in Frage steht, mit gleicher Verfassung begründeten Orden der bedeutendste Hebel der Papstmacht, um so bedeutender, als parallele Schöpfungen weiblicher Orden durch Erziehung und Einwirkung in dem weiblichen Theile der Gesellschaft wirkten. Was aber noch fehlte, das wurde ergänzt durch die von Ignatius von Loyola gestiftete Gesellschaft Jesu ^^). Ein schrankenloser Gehorsam, der den Regularen und Orden zum willenlosen Werkzeuge des- Obern macht, unbedingte Verfügungs- berechtigung des Papstes über den General und den Orden, Loslösung des Einzelnen von allen Banden der Familie, Diözese, des Vaterlandes, Aufgehen jedes Zweckes in dem des Ordens: Das sind die jesuitischen

■*"") Dass in Prag im Jahre 1860 eine Provinzialsynode tagte, merkte Niemand, der sich nicht speziell darum kümmerte; das Gleiche ist mir von Augenzeugen für die in anderen Orten abgehaltenen versichert worden.

■*^) c. 7. X. de statu monach. III. 35. machte die capitula generalia zur all- gemeinen Institution. Cf. c. 8. de reg. et mon. Sess. XXV. Conc. Trid.

4^) Meine cit. Schrift ,Die Macht der röm. Päpste* S. 106 ff. Theodor Weher, Der Gehorsam in der Gesellschaft Jesu. Breslau 1871. Meine Schrift ,Die neueren kathol. Orden^ u. s. w. Berlin 1872, S. 6 ff. Allseitig \Joh. Huber, Der Jesuiten- orden nach seiner Verfassung und Doktrin, Wirksamkeit und Geschichte darge- stellt. Berlin 1&73.

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Sätze, welche fortan die Grundlage für ziemlich ausnahmslos alle später gestifteten Manns- wie Frauen -Orden und Congregationen wurden ■^^). Der Jesuitenorden wurde sofort von den Päpsten als ein unübertreff- liches Rüstzeug erkannt und benutzt, gelangte dazu, der eigentliche Träger des Curialsystems zu werden in Theorie und Praxis, erhielt die Aufgabe, in den katholischen Staaten Deutschlands, wie in Frankreich, Spanien, Portugal, Neapel u. s. w. dem päpstlichen, überhaupt dem kirchlichen Absolutismus, Hand in Hand mit dem staatlichen zum Siege zu verhelfen *^). Die Jesuiten dienten den Päpsten unbedingt, solange diese das eigene System in dem jesuitischen sahen; ihr Grundprincip, das in Wirklichkeit auf dem Satze ruhet : »Der Zweck heiligt das Mittel«, machte sie fähig, die äusserste Laxheit auf dem Gebiete der Moral, das Dulden der verwerflichsten Lebensweise der Regenten als deren Beichtväter, das Aussprechen von Sätzen, Avelche ihren eignen Prinzipien widersprachen, überall da eintreten zu lassen, wo sich da- durch ein Vortheil erreichen liess. Blieben auch die Dominikaner im Ganzen Inhaber des traurigen Vorrechts, Ketzerrichter zu sein, die Jesuiten wurden allenthalben die Berather und namentlich die Leiter " auf dem Gebiete der Erziehung und tonangebend auf dem geistigen. Die Jesuitengt/mnasien ^^) bildeten meist überall die hauptsächlichsten Anstalten, die theologischen und philosophischen Fakultäten wurden ihnen meistens überantwortet ^»j^ Yrüh merkte man in Rom, welche Vortheile sich von ihnen erwarten Hessen, und beeilte sich desshalb, sich ihrer zu bedienen und zu versichern. Man räumte dem General sofort auf dem Goncil zu Trient Sitz und Stimme ein. Es war aber auch klar geworden, dass man sich trotz aller früheren Dienste, w^elche die alten Orden geleistet hatten, auf diese nicht in gleicher Weise stützen könne wie auf die neueren, insbesondere die Jesuiten. Man musste sich nämlich sagen, dass immerhin die Aebte und Pröpste der alten Orden im Mittelalter eine wesentliche Stütze der provinziellen Selbstständigkeit bildeten; sie nebst den Universitäten waren auch auf den Generalsynoden von grossem Einflüsse. Die alten Orden mit stahilitas

^•^) Meine .neueren kath. Orden" S. 10 If. Hinschins, Die Orden und Congre- gationen der kath. Kirche in Preussen u. s. w. Berlin 1874.

*^) Vgl. nur die Schriften in Anm. 43, die Literatur von Jesuiten über die Macht des Papstes, besonders dessen Infallibilität . Joh. Friedrich, Geschichte des vatikanischen Konzils. Bonn 1877. S. 11 ff. 20 ff".

^0 Wie diese beschaffen waren, hat aus deren eignen Akten in einer aus- gezeichneten Schrift dargethan Joh. Kelle, Die Jesuitengymnasien in Oesterreich. München 1876.

^«) So z. B. in Deutschland, Prag. Wien, Graz. Ingolstadt, Breslau. Pont-ä- Mousson, Münster, Innsbruck, längere Zeit in Freiburg und Heidelberg. Paderborn. Dazu ilne zahlreichen Collegien mit theol. und pliilos. Studien.

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loci konnten durch ihre politische Stellung als Stände und ihren Besitz ein wesentliches Gegengewicht gegen die päpstliche Gentralisation werden. Die Ritterorden waren noch mehr in der Lage, sich selbstständig zu halten und dadurch für die Bischöfe eine Stütze zu werden. Die alten Orden waren keine Schöpfung der Päpste, ihre Bildung hatte sich mit einer Selbstständigkeit vollzogen, welche von päpstlichen Dekreten im Ganzen wenig berührt wurde. Sie waren, abgesehen von dem Interesse, welches sie mit den Päpsten verband, durch diese die Exemtion von den Bischöfen zu erhalten, nach jedweder Richtung mit den Interessen der Diözese des Landes verwachsen. Gerade die völlige Exemtion von der bischöflichen Gewalt, welche überall für die Ordensleitung bestand, machte sie zu einem bedeutenden kirchlichen Faktor neben den Bischöfen. Denn in Ländern, wo sich die Bischöfe nicht zu wirklichen Landes- herren entwickelt hatten, besassen die Orden doch zum Theil ein auch kirchlich vom Bischof eximirtes Gebiet territorium cum jurisdictione quasi-episcopali und waren sog. Praelati nullius (dioeceseos) ; so weit das nicht der Fall war, bildeten sie durch ihren Besitz und die Menge von Pfarreien überall wirkliche kirchliche Obere *^). Im Deutschen Reiche standen noch 1792 neben 27 Bischöfen als Landesherren in derselben Eigenschaft 45 katholische Aebte, Pröpste, Aebtissinnen und Pröpstinnen. Solange die Macht dieser nicht gebrochen war, hatte Rom seine Allgewalt nicht durchgesetzt. Bildeten jene nun auch ein Element des Widerstands gegen die einheitliche bischöfliche Gewalt, so waren sie doch zugleich eine Stärkung für die Bischöfe gegenüber der Kurie, in dem Momente, wo die Interessen der Bischöfe und alten Orden in dem einen Punkte zusammentrafen , sich der kurialen Omnipotenz zu erwehren. Rom aber bedurfte ihrer nicht mehr. Die Franziskaner in ihren verschiedenen Verzweigungen sammt den Dominikanern waren die eigentlichen Beherrscher der Volkmassen. Sie waren diesen sympathisch durch ihre Armuth, ihre ärmliche Kleidung, den Ursprung der meisten Mitglieder, ihre ganze Denk- und Handlungsweise, ihre Pflege des Kultus, während die vornehmen Aebte und Gonvente als grosse Herren dem Volke fremd blieben. Hatte man in den Mendikanten-Orden das Mittel, die Masse zu leiten, so schickte sich der Jesuitenorden sofort durch die üebernahme des höheren Unterrichts, die Kultivirung der Predigt, die einflussreiche Stellung an den Höfen dazu an , zur Gewinnung und Leitung des Adels und der gebildeteren Klassen geeignet zu sein. Zugleich hatten die Jesuiten durch den Marien-Kult, die sinnliche Aus-

^^) Siehe meine Schrift: Die Stifte der alten Orden in Oesterreich. Oiessen 1869. In Deutsch-Oesterreich haben dieselben noch heute über 500 Pfarreien zu besorgen.

Schulte, Geschichte. III. Bd. I. Th. 2

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schmückung ihrer Kirchen und ihre Superiorität im Beichtstühle sich das Mittel geschaffen, auch die Masse zu beeinflussen. Der Jesuiten- general und die übrigen Ordensgeneräie standen mit dem Papste in stetem Gonnex, die Aebte der alten Stifte kamen mit ihm selten in Berührung. Es ist begreiflich, wenn man sich schon zu Trient einer neuen Politik bediente. Die gegenüber dem Mittelalter veränderte Zu- lassung der Ordensoberen war deren erster Ausdruck. Man konnte weiter gehen und die Exemtion beschränken, weil man die Bischöfe nicht mehr zu fürchten brauchte, da man sie durch die anderen Orden in der Hand hatte und die Politik der katholischen Fürsten sie zwang, mit dem Papste zu gehen, wenn sie sich halten wollten. Die triden- tinischen Sätze ^*^) haben wesentlich die Exemtion der Orden beschränkt, spätere Papstgesetze fuhren in diesem Sinne fort, bis zuletzt das ganze Ordenswesen lediglich von den römischen Gesetzen und Behörden ab- hängig wurde. Damit war denn auch die provinzielle Selbstständigkeit, nachdem gleichzeitig durch andere Sätze zu Trient ^^) die bis dahin im sog. niederen Klerus vorhandene Selbstständigkeit den Todesstoss erhalten hatte, vernichtet. Um aber vollends ein stehendes Organ der Gontrole zu besitzen, errichteten die Päpste stehende Nuntiaturen^^). Es ist nur nöthig, darauf hinzuweisen, dass die Uebergriffe der Nuntien einen stehenden Punkt der bischöflichen Beschwerden und Differenzen mit der Kurie bildeten, dass aber das schliessliche Resultat fast immer die Niederlage der Bischöfe war. Von Seiten der Regierungen nahm man sich der Bischöfe, wie des Klerus überhaupt nur dann an, wenn man zugleich ein staatliches Interesse verletzt glaubte. Gelang es dann der Kurie, dies zu befriedigen, so kümmerte man sich wenig um die Vernichtung der innerkirchlichen Freiheit und des alten kirchlichen Rechts. Das Resultat der Entwicklung ist : der Schwerpunkt lag in der päpstlichen Gesetzgebung , die päpstlichen Constitutionen und die Praxis der Curialbehörden bilden seit dem Tridentinum die einzige Quelle für die Weiterbildung des gemeinen Rechts; die partikuläre Rechtsbildung stagnirt vollständig, soweit nicht ganz untergeordnete Dinge in Betracht kommen. Bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts ist es zum Grundsatz geworden: was Rechtens sei, entscheide die vigens ecclesiae discipUna, diese aber ist identisch mit der a sancta Sede approbata discipUna d. h. mit dem,

^^) Sie sind insbesondere in der Sess. XXV. de reg. et mon. c. 5. 11. lo. 14. enthalten.

•'^') Ueber die Archidiaconen . die Bestimmungen über das Verhältniss des Bischofs zum Kapitel, die exemten Kleriker u. s. w. in Sess. XXIV. c. 3. 12. 20. d. r., S. XXV. c. 14 d. r.; S. VI. c. 4. S. XIV. c. 3 seqq. XXV. c. 6 de ref. u. s. w.

•") Das cit. Werk von 0. Mejer, desselben ,Zur Gesch. der römisch-deutschen Fraget, die unten zusammengestellte Literatur, Friedrich, Gesch. des vatik. Konzils.

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was durch Gesetz, Praxis seiner Behörden, oder stillschweigende Zu- stimmung des Papstes gehandhabt wird ^^).

VII. Wie innerhalb der Kirche die Papstmacht allmälig die ganze Rechtsentwicklung an sich gerissen hat, so trat als ein neuer Factor auf die Gesetzgebung der Staaten in kirchlichen Dingen ^'^). Ihr letzter Grund lag in der bereits geschilderten Bildung von Staats- oder Landes- Kirchen. Für das einzelne Land hörte damit die katholische Kirche juristisch auf, die allgemeine, universale zu sein, sie war die katholische Kirche des einzelnen Landes. Wohl haben die Päpste bei jeder Gelegen- heit, die sich bot, geltend gemacht, dass die Kirche ihre Anerkennung nicht dem einzelnen Staate verdanke, göttlicher Stiftung und älter sei, als alle christlichen Staaten u. s. w. Nicht minder ist diese Argumen- tation insbesondere in unserem Jahrhundert und vor Allem in unseren Tagen von den verschiedensten Seiten benutzt worden, um das Recht des Staats zur Gesetzgebung über kirchliche Dinge zu bestreiten, der- artige Gesetze als Eingriff in die Freiheit der Kirche, ihre ,göttlichen' Rechte u. dgl. zu brandmarken. Im Munde der Päpste und der An- hänger der päpstlichen Macht erweist sich diese ganze Argumentation als falsch aus der Geschichte, aus den eignen Handlungen der Päpste und aus den von ihnen aufgestellten Grundsätzen.

Die Geschichte beweist, dass von Gonstantin angefangen die römischen Kaiser ^^), die fränkischen Könige und vor Allem Karl d. G., nicht minder andere Herrscher, selbst ohne päpstlichen Widerspruch Gesetze über kirchliche Dinge gaben. Zu verschiedenen Zeiten hatten die Päpste bald ausdrücklich das Recht des Staats in diesem Punkte anerkannt ^«), bald die Sätze des kaiserlichen Rechts selbst in Punkten, die als kirchliche Sachen heute mit dogmatischer Autorität beansprucht

^3) Siehe meine Quellen S. 63, 214, 341, 404 ff., 526 , mein Lehrbuch S. 36, 39, 183, 306, 414.

•'^^) Sie bildet in allen Ländern einen so wichtigen Factor, dass, wer sie bei der Darstellung des Kirchenrechts ignorirt, wie Philipps in seinem ,Kirchenrecht'' grundsätzlich, nicht in seinem ,Lehrbucli'', zum Theil Antiquitäten, nicht Kirchen- recht, darstellt. Das ,canonische'' Recht fällt uns in diesem Werke nicht zusammen mit dem im Corpus juris canonici enthaltenen Rechte, sondern mit dem Kirchen- recht und darin liegt das Motiv, sie zu berücksichtigen. Hier kommt nur der allgemeine Gang der Entwicklung in Betracht \ die §§. 13—15 geben Aufschluss über die Entwicklung in den Einzelnstaaten.

^^) Wie weit die Rechte gehen, welche man diesen kirchlicherseits zuschrieb, zeigt meine Schrift ,Die Macht der römischen Päpste' S. 111 ff., die Titel 1 13 Lib. 1. Cod. Just, genügen. Für das fränkische Reich bietet Ansegisus hinläng- liche Belege. Vgl. Löning, Geschichte des deutschen Kirchenrechts, Strassb. 1878, Bd. I. u. IL, die Schriften von Riffelf Fehr, Zorn u. A.

*^) Die in meiner cit. Schrift angeführten Aussprüche von Papst Leo L genügen.

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werden, wie die Aufstellung von Ehehindernissen, befolgt; gerade im 16. und 17. Jahrhundert waren ihnen alle Gesetze genehm, welche ihr Kirehenwesen stützten. Im Mittelalter hatte man, obwohl innerhalb der Kirche jedes Recht der Gemeinde zur Mitwirkung entfiel, immer noch daran festgehalten, dass die kirchlichen Dinge das Interesse der Gesammtheit berührten und daher ihre Mitwirkung forderten. Während man noch in Gonstanz mit den Nationen verhandelte, mit den Repräsentanten der Völker, hielt man sich seit Trient lediglich an die Landesherren. Man musste nunmehr auch die Gonsequenz zugeben. Will man dem Staate das Recht bestreiten, über kirchliche Dinge zu bestimmen, so kann man ihn auch nicht für berechtigt halten, eine bestimmte Religion und Kirche als die einzig richtige anzuerkennen, die Angehörigkeit an sie als Bedingung der Rechtsfähigkeit zu fordern, die Abweichung als Verbrechen zu ahnden, wie das die mittelalterlichen Könige auf päpstlichen Antrieb und mit ausdrücklicher päpstlicher An- erkennung thaten ^^). Wer dem Staate alles Recht dieser Art abspricht, muss einräumen, dass der Staat kein Recht hat, das Individuum wegen der Religion zu binden, muss die volle Religions-, Gewissens-, Gultus- freiheit als berechtigt anerkennen, muss eingestehen, dass der Staat in keiner Weise sich dazu hergeben darf, kirchliche Vorschriften zu den seinigen zu machen, der Kirche seinen Arm für deren Durchführung zu leihen. Nur vom Standpunkte der absoluten, schrankenlosen Trennung von Kirche und Staat kann man consequenterweise dem Staate das Recht bestreiten, über kirchliche Dinge Anordnungen zu geben ^*). Nun haben aber die Päpste stets das diametrale Gegentheil gefordert, dogmatisch ausgesprochen, das weltliche Schwert müsse dem geistlichen dienen ^^), und Pius IX. hat im Syllabus vom 8. Dez. 1864 Glaubens-^ Gewissens-, Press-Freiheit u. s. w. aufs Schärfste verworfen ^^).

Zu keiner Zeit hat man seit dem 16. Jahrhundert die päpstlichen Forderungen zugestanden ^i). Die Vorgänge im deutschen Reiche seit dem Jahre 1555 hatten den endlichen Erfolg, dass im Westfälischen Frieden das Reformationsrecht und die Berechtigung der Landesherren

*0 Die Gesetze Friedricli's II. gegen die Ketzer sind in die Comp. V. von Honorius III. aufgenommen (Bd. I. S. 91), in zahlreichen Constitutionen der Päpste ausdrücklich gebilligt, von denselben als geltendes Recht erklärt.

•'^») Maassen, Neun Kapitel, stellt sich auf diesen Standpunkt, ohne ihn jedoch unparteiisch festzuhalten.

'^^) Bonifaz VIII. in Bulla Unam sanctam.

^'') Die Art. 15. 19. 22. 24. 25. 39. 55. 57. 77. 78. 79. 80. enthalten diese Verwerfung: zahlreiche andere verwerfen, was gegen die in Rom einmal ange- nommenen Sätze geht.

^*) Es wird sich dies unten in den §§. 13—15 zeigen.

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auch in kirchlichen Dingen anerkannt wurde ^^). Eine Beschränkung lag in den Bestimmungen desselben über das Normaljahr 1624 und den Besitz am Normaltage (1. Januar 1624)^^), indem die an irgend einem Tage des Jahres 1624 bestandene Religionsübung reichsgesetz- mässig anerkannt wurde. Damit war, während für die Protestanten die bischöfliche Jurisdiction unbedingt suspendirt blieb, für die Katholiken an Orten, wo ihnen das exercitium religionis nach den Friedens- bestimmungen zustand, staatsrechtlich das canonische Recht und die Kirchengewalt anerkannt, aber unbeschadet der landesherrlichen Rechte. Es konnte theoretisch darüber gestritten werden, ob der katholische Landesherr kraft der Landesherrlichkeit auch gegen das canonische Recht handeln könne ^*); der Papst war jedenfalls nicht befugt, den West- fälischen Frieden für sich anzurufen, nachdem Innocenz X. in der Bulle Zelo domus Dei vom 26. Nov. 1648 alle diese Bestimmungen für null und nichtig erklärt hatte ^^). Wir brauchen uns indessen auf diese Frage hier nicht weiter einzulassen, da die Thatsache feststeht, dass

^^) J. P. 0. art. V. §. 30., cum eiusmodi Statibus immediatis cum iure ter- ritorii et superioritatis , ex communi per totum Imperium hactenus usitata praxi, etiam jus reformandi exercitium religionis competat*"; adt. VIII. §. 1. ,Ut autem provisum sit, ne posthac in statu politico controversiae oriantur, omnes et singuli Electores , Principes et status Imperii Romani in antiquis suis juribus , praeroga- tivis, libertate, privilegiis, Ubero juris territorialts tarn in ecclesiasticis quam politicis exercitio, ditionibus, regalibus, liorumque omnium possessione, vigore liujus transactionis , ita stabiliti firmatique sunto , ut a nullo unquam sub quocunque praetextu de facto turbari possint vel debeant.*"

ß^) J. P. 0. art. V. §. 30 ff. Ueber die Bedeutung derselben für das heutige geltende Recht s. meine Quellen S. 400 ff.

°^) Es mögen als Beleg der apodiktischen Weise, wie man theoretisch noch spät im vorigen Jahrhundert über diese Dinge schrieb, als das volle Gegentheil der Theorie in Uebung stand, die Worte dienen von Moser, Von der Landeshoheit im Geistlichen S. 10 fg. : ,Gegen den Papst , wie auch gegen Erz- und Bischöfe ihrer Religion können die Catholische sich mit Bestand auf das, was die Reichs- gesetze wegen der Landesherrlichen Gerechtsame in Religionssachen gestatten, nur insofern berufen, als es übrigens der Verfassung der Rom. Catholischen Kirche gemäss ist; oder: Sie werden dadurch von derjenigen Subordination nicht be- freyet, darin sie, nach denen Grundsätzen besagter Kirche, unter dem Papst, wie auch denen Erz- und Bischöfen stehen ; Dann der ganze Zusammenhang des Re- ligions- und Westphälischen Friedens belehret, und setzet voraus, dass das allge- meine Kirchenregiment der Rom. Catholischen Kirche, auch in Absicht auf Teutsch- land und dessen Catholische Stände bleiben solle, wie es hergebracht ist. . . . Der Kaiser gestehet denen Catholischen Landesherrn, als Landesherrn, keine Landes- hoheit in geistlichen Sachen zu, wann und insofern es derselbigen Catholische Unterthanen betrifft: Das ist unstreitig,'

^■'^ Bullar. Rom. VI. P. III. p. 173 sqq. (bezw. nach anderer Ausgabe V. 466). Vgl. meine Macht der Päpste S. 50 f. Moser, Von der Teutsch. Religions-Verf. S. 709 f.

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die katholischen geistlichen wie weltlichen Landesherren Vieles in legis- lativer und sonstiger Hinsicht gethan haben, was mit dem canonischen Rechte nicht harmonirte. Das Reich übte im Reichsdeputations-Haupt- schluss vom f^; 1803 einen gesetzgeberischen Akt aus, der die Ver- hältnisse der katholischen Kirche gänzlich umgestaltete ; die Bundesakte vom 8. Juni 1815 enthielt sich schliesslich jeder Bestimmung über die Rechte der Kirchen ^^). Der im Namen Pins' VII. am 14. Juni 1815 vom Kardinal Consalvi gegen die Wiener Congressakte ^^) eingelegte Protest hat nichts daran zu ändern vermocht. Die Verfassung des neuen deutschen Reichs hat die kirchlichen Angelegenheiten nicht zur Reichssache gemacht; die Gesetzgebung des Reichs hat aber aus anderen Rechtsgründen einzelne derartige Punkte normirt. Als unbestreitbares Resultat stellt sich heraus, dass die Gesetzgebung in kirchlichen Dingen in Deutschland seit dem Westfälischen Friedest als landesherrliches Recht gehandhaht wurde und staatsrechtlich galt.

Diese Wendung hat für die Entwicklung schwere, kaum wieder gut zu machende Uebelstände herbeigeführt. Während man im Ganzen in den katholischen Territorien bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts die Hierarchie nach ihrem Belieben handeln und dadurch die päpst- lichen Ansprüche sich immer mehr festigen liess, übte man daneben aus landesherrlicher Machtvollkommenheit eine Gesetzgebung, deren Zweck ein doppelter war: den einheitlichen religiösen Charakter des Landes zu erhalten und die Kirche als Polizeianstalt zu benutzen. Als Folge stellte sich ein, dass die Religion zur reinen Aeusserlichkeit herabsank, die blosse Uebung als genügend galt. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts trat ein völliger Umschwung ein. Es war nicht zu bestreiten, dass die katholischen Territorien im Vergleiche zu den protestantischen fast in allen Beziehungen zurückstanden, dass die kirchlichen Gesetze und Zustände sich mit den berechtigten Forderungen der Volks wirthschaft und des Staates nicht im Einklang befanden ^^).

"*') Art. XVI. ,Die Verschiedenheit der christlichen Religionspartheien kann in den Ländern und Gebieten des deutschen Bundes keinen Unterschied in dem Genüsse der bürgerlichen und politischen Rechte begründen^ ist bekanntlich ani 9. Juni 1853 durch die Bundesversammlung dahin interpretirt worden, dass er sich auf die Religionsübung nicht beziehe. Vgl. mein Lehrbuch des Kirchenrechts S. 165 f. Obwohl ich diese Interpretation für unrichtig halte, ist sie massgebend geworden.

''O Abgedruckt nebst der Note Consalvi's bei Kluber Acten des Wiener Con- gresses VI. 437 ff. Siehe daselbst S. 427 ff. und IV. 312 ff.

^^') Es genügt die Hinweisung auf einige Punkte. Die Militärpfitcht war mit der absoluten Immunität der Kleriker, welche Folge der mit dem 7. Jahre zulässigen Tonsur war, mit dem von jeder Erlaubniss unabhängigen Eintritte in Orden nach erreichtem 16. Lebensjahre unverträglich. Die Immunität der Geistlichen und

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Die moderne Theorie von der Staatsgewalt, das Naturrecht wurde herrschend, der Rationahsmus hatte einen Indifferentismus erzeugt^ der in dem veräusserlichten kirchlichen Leben nur zu reiche Nahrung fand. In Frankreich hatte sich seit Langem eine weitgehende Gesetzgebung und Administration in kirchlichen Dingen als besonderes gallikanisches Recht festgesetzt, nicht minder in Spanien u. s. w. Die absolute Ge- walt der grösseren Landesherren war zur That geworden. In den Werken Van-Espen^s , später v. Hontkeim's u. A. wurde die von den Päpsten beanspruchte und thatsächlich geübte Gewalt verworfen und dem Staate ein weitgehendes jus circa sacra zugesprochen. Es ent- wickelte sich in Oesterreich und theilweise in Baiern nunmehr ein System der Staatskirchen - Gesetzgebung und -Verwaltung, das sich weder auf die advocätia ecclesiae^ noch auf ein vernünftiges jus cavendi oder inspiciendi stützen konnte, sondern in Wirklichkeit darauf ruhte, dass man die Kirche als reine Staatsanstalt ansah. Dasselbe führte in Belgien zum förmlichen Aufstande und im letzten Resultat zur Schwächung der Regierungsgewalt und zur Stärkung des Ultra- montanismus.

IX. In Folge der Umwälzungen, welche die französische Revolution direkt oder indirekt hervorrief, bildete sich ein ganz neuer Zustand aus. Der Absolutismus herrschte im Anfange des Jahrhunderts in allen continentalen Staaten; die Verfassung der katholischen Kirche war ip Frankreich, in den deutschen Staaten, soweit nicht die kaiserlichen (östlichen) Erblande in Betracht kamen, vernichtet. Zum Erstenmale tritt uns die Thatsache entgegen, dass der souveräne Staat mit dem Papste, ohne jede Befragung des Episkopats, durch Verträge, Concordate genannt, die Stellung der Kirche im Staate, ihre Verfassung, Dotation u. s. w. festsetzt. Solche Verträge bilden seitdem eine wichtige Quelle. Ueber ihren Charakter ist man bis heute in der Wissenschaft nicht einig geworden. Sie beweisen jedoch unzweifelhaft die reelle Anerkennung des Staatskirchenthums, weil ohne diese ein Vertrag mit einer Macht, die als solche nach der ganzen Rechtsanschauung der Neuzelt und nach ihrer eignen, auch wenn ihr Träger zufällig Katholik ist ß^), der Kirche oder dem Papste nicht untersteht, also mit dem modernen Staate über die Gegenstände, welche in ihnen geregelt werden, undenkbar ist.

geistlichen Güter von allen Steuern, die geistliche Jurisdiction über sie in Civil- und Criminalsachen , das canonische Recht bezüglich des Zinsennehmens, die ausge- dehnte geistliche Gerichtsbarkeit war mit dem modernen Staatswesen unvereinbar. '''^) Aber man hat auch mit protestantischen (Baden, Württemberg, Russland, Holland) Concordate abgeschlossen, wollte in Rom seiner Zeit gern mit England, Preussen u. s. w. solche eingehen, hat sie gemacht mit der Schweiz und anderen Republiken, in welchem Falle nur der Staat in Betracht kommt, nicht ein Monarch.

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Wo man sich über den Abschluss von eigentlichen Concordaten nicht einigen konnte,, begnügte man sich mit Vereinbarungen, auf Grund deren der Papst die Reorganisation der Kirche vornahm. In beiden Fällen war staatlicherseits durch die Thatsache unzweifelhaft anerkannt^ dass der Papst allein und vollständig berechtigt sei; über alles Kirchliche aus eigener Machtvollkommenheit zu verfügen. Darin liegt die kolossale Bedeutung ihres Abschlusses überhaupt. Indem der moderne Staat mit dem Papste contrahirte, hatte er ihn als Kirchen- Souverän anerkannt. Es war fortan den Bischöfen, dem Klerus, wie den Laien klar, dass sie lediglich vom Papste in kirchlicher Beziehung abhingen. Was die Päpste vergebens seit tausend Jahren erstrebt hatten, gab ihnen das Jahr 1801. Freilich ist Napoleon sich dessen nicht bewusst gewesen, ihm war das Goncordat nichts als ein politisches Mittel, um sich den Klerus und alle gläubigen Katholiken zu Dank und Dienst zu verpflichten. Aber dies ändert an der Wirkung, welche der Abschluss für die Stellung des Papstes gehabt hat, eben so wenig, wie die Thatsache, dass alle in unserm Jahrhundert mit europäischen Staaten bis zu dem Zeitpunkte, der für uns den Endpunkt bildet, abgeschlossenen Goncordate mit ver- schwindenden Ausnahmen früher oder später vom Staate aufgehoben oder für hinfällig erklärt worden sind. Diese Ausnahme betrifft nur jene Staaten, deren Regierungen in demselben Augenblicke, als sie das Goncordat publizirten, in ganz unzweifelhaftem Widerspruche zum Theil mit dem Wortlaute, jedenfalls mit dem Geiste des Goncordats^ durch Staatsgesetze die Rechte des Staats wahrten ^®). Der Grund dieser auffälligen Erscheinung ergiebt sich unschwer aus der Geschichte, die nach ihrer doppelten Seite, der innerkirchlichen und staatlichen, zu betrachten ist.

Die verschiedenen Staaten gingen einen verschiedenen Gang, dessen Stadien sich unten zeigen werden (§§. 13 15). Oesterreich, das seit Leopold II. die Josephinische Kirchengesetzgebung vielfach abgeschwächt und gemildert hatte, hielt, so lange das absolute Regiment dauerte, theoretisch und praktisch an dem Standpunkte fest, dass der Staat die Grenzen seiner Gewalt zu bestimmen und alle ihn berührenden Punkte zu ordnen habe. Gesetzgebung und Verwaltung, ,in publico-ecclesiasticis' , wie man zu sagen pflegte, entsprach ganz unfraglich den Ansichten der grossen Mehrzahl der Laien und auch, etwa Tyrol ausgenommen, des Klerus. Das Jahr (1849) 1850 führte zur Aufrichtung der ,Kirchen- freiheit', das Jahr 1855 zum Abschluss eines Goncordats, das, wie ich aus eigener Anschauung weiss, dem Klerus und den Laien durchweg

^^) Das war der Fall in Frankreich (1801) und Baiern (1817), deren Gon- cordate noch heute gelten.

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höchst unwillkommen war. In dessen Gefolge trat eine sehr freie Bewegung der Kirche ein , die gleichwohl auf Grund von Separat- bestimmungen des Vertrags und von unförmlichen Vereinbarungen dem Papste und den Bischöfen Rücksichten auferlegte, von denen man sich anderwärts entbunden hielt. Mochte auch scheinbar das antiquirte canonische Recht zur Geltung gekommen sein, in Wirklichkeit behielt der Staat die Mittel in der Hand, sich die päpstliche und bischöfliche Gesetzgebung und Praxis nicht über den Kopf wachsen zu lassen, wenn er den Muth bewahrte, sein Recht zu vertreten. Die politischen Ereig- nisse auf der einen Seite, die Halsstarrigkeit des dominirenden Kirchen- fürsten auf der andern bewirkten, dass die Staatsgesetzgebung von dem Goncordat, das seinen politischen Zweck nicht erreicht hatte, seit dem Jahre 1867 absah und in mehrfacher Beziehung ihren eignen Weg einschlug. Im Juli 1870 hat man das Goncordat fallen lassen und an dessen Stelle Staatsgesetze gestellt, deren Charakter später zu be- sprechen ist.

Baiern sagte sich durch Abschluss des Goncordats im Jahre 1817 von dem bereits angedeuteten Systeme los, hielt aber gleichzeitig das volle Recht des Staats durch ein Verfassungsgesetz fest und hat bis heute einen Standpunkt eingehalten, der sich kaum generell qualifiziren lässt.

Baden, Württemberg, Hessen- Cassel, Hessen-Barmstadt und Nassau, die Staaten der Oberrheinischen Kirchenprovinz ^ schritten, nachdem der im Jahre 1818 begonnene Versuch, für die katholische Kirche eine moderne Regelung herbeizuführen, an dem Widerspruche Roms und an der inneren Schw^äche des Versuchs gescheitert war, und nachdem durch päpstliche Bullen die äussere Reorganisation stattgefunden hatte, im Jahre 1830 zur staatsgesetzlichen Regelung der Stellung der Kirche. Das gleichlautende ,Edict vom 30. Januar 1830 das landesheri^iche Schutz- und Aufsichtsrecht über die katholische Kirche betreffend' ^^) nebst Spezialgesetzen der einzelnen Staaten blieb in Kurhessen bis zu dessen Einverleibung in die preussische Monarchie (Ges. v. 20. Sept. 1866) massgebend. Die Bew^egung des Jahres 1848 führte zu dem ,Erlass vom 1. März 1853', der in den übrigen vier Staaten publizirt wurde. Seitdem gingen deren Wege auseinander. In Baden entbrannte ein Kirchen- Conflict , der in der offenbaren Absicht von geistlicher Seite hervorgerufen wurde ^2), den Staat zu bewältigen, ihn durch offene Empörung zur Nachgiebigkeit zu zwingen. Man hatte sich verrechnet. War es auch im Jahre 1848 gelungen, das Land zur Revolution zu

"^) Abgedruckt in meinem System des kath. Kirchenr. S. 64 ff. '"-) Ich miiss aber den damaligen Erzbiscliof Herman von Vicari mit voller Ueberzeugiing freisprechen.

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bringen, die Mehriieit des Volks wollte von der Herstellung der klerikalen Herrschaft nichts wissen. Der milde Sinn des Grossherzogs suchte in dem Abschluss des Goncordats vom 28. Juni 1859 die Beilegung allen Zwistes. Die Verwerfung des Goncordats durch die zweite Kammer der Landstände bewirkte, dass man den Weg der Staatsgesetzgebung von Neuem betrat. Das Königreich Württemberg hatte bereits am 8. April 1857 ein Goncordat mit dem Papste geschlossen^ nach dessen Verwerfung durch die Kammern es auch dort zu einer neuen Staats- gesetzgebung kam, welche in Folge eigenthümlicher Verhältnisse bisher zu keinen Gonflicten geführt hat. Im Herzogthum Nassau half man sich durch ein Abkommen mit dem Bischof über einige Punkte, bis in Folge der Einverleibung in Preussen (20. Sept. 1866) das preussische Recht eintrat. Im Grossherzogthum Hessen -Darmstadt war in Folge einer Jahre lang geheim gehaltenen Uebereinkunft zwischen der Regierung und dem Bischof von Ketteier ein scheinbar glücklicher Zustand ein- getreten. Man trat beiderseits von der Gonvention zurück und beschritt schliesslich auch hier von Neuem den Weg der Staatsgesetzgebung. Im früheren Königreich Hannover war bis zur Einverleibung in Preussen (20. Sept. 1866) der Zustand auf der Grundlage des gemeinen Rechts und der Landesgesetze im Ganzen ein guter. In den übrigen deutschen Staaten, welche eine nennenswerthe Zahl von katholischen Bewohnern haben: Grossherzogthum O/c^ew&wr^/^ Kömgreioh Sachsen , Grossherzogthum Sachsen- Weimar, liegt der Schwerpunkt auf Staatsgesetzen und einzelnen Vereinbarungen. Den stärksten Wechsel hat das Königreich Preussen eriebt. Man hatte sich begnügt, als Resultat der Unterhandlungen ^3) in Rom die Bulle vom 16. Juli 1821: De salute anhnarum über die Gircumscription der Diözesen zu erlangen, jede prinzipielle Frage ver- mieden und staatlicherseits bei der Genehmigung dieser Bulle den StaMpunkt der Souveränität gewahrt''^). Bis zum Jahre 1841 blieb

'^) Hierüber geben die Schriften von Laspeyres, Mejer, über einen einzelnen Punkt (Besetzungen der Bistliümer) die von mir, Friedberg und Hinschius voll- ständige Auskunft. Siehe überhaupt die Zusammenstellung der Literatur.

'^) Die Kabinets-Ordre vom 23. Aug. 1821 (abgedr. in meinem Sj^stem S. 44. vorher die Bulle selbst) sagt: ,so will ich .... dem wesentlichen Inhalt dieser Bulla, nämlich dem , was die auf vorerwähnte Gegenstände [,in Betreff der Ein- richtung, Ausstattung und Begrenzung der Erzbisthümer und Bistliümer der kath. Kirche den Staats, und aller darauf Bezug habenden Gegenstände'] sich beziehenden sachlichen Verfügungen betrifft, hierdurch Meine Königliclie Billigung und Sanction ertheilen, Kraft deren diese Verfügungen als bindendes Statut der kath. Kirche des Staats von allen, die es angeht, zu beobachten sind. Diese Meine Kön. Billigung und Sanction ertheile Ich vermöge meiner Majestätsrechte, und diesen Rechten, sowie auch allen meinen Unterthanen evangelischer Religion, und der evang. Kirche des Staats, unbeschadet.''

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dieser Standpunkt geltend, das äussere Kirchenwesen stand im Ganzen unter der Herrschaft staatlicher Normen. Friedrich Wilhelm IV. gab denselben durch das vom 1. Januar 1841 datirte Gircularschreiben des geistlichen Ministeriums über die amtliche Communication der katholischen Bischöfe mit dem Papste auf. In Folge der Bewegung des Jahres 1848 kam es dahin, dass in die Verfassungs- Urkunde vom 30. Jan. 1850 die Sätze aufgenommen wurden: ,Art. 15. Die erangelische und die römisch-katholische Kirche, sowie jede andere Beligionsg eselisch aft, ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbstständig tmd bleibt im Besitz und Genuss der für ihre Kultus-, Unterrichts- und Wohlthätigkeitszivecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonds. Art. 16. Der Verkehr der Beligiofisgesellschaften mit ihren Oberen ist ungehi^idert. Die Bekannt- machung kirchlicher Anordnungen ist nur de^ijenigen Beschränkungen unterworfen, tvelchen alle übrigen Veröffentlichungen unterliegen. Art. 18. Das Ernennungs-, Vorschlags-, Wahl- und Bestätigungsrecht bei Besetzung kirchlicher Stellen ist, soiveit es dem Staate zusteht, und nicht auf dem Patronat oder besonderen Bechtstiteln beruht, aufgehoben. Auf die An- stellung von Geistlichen beim Militär und den öffentlichen Anstalten ßndet diese Bestimmung keine Anwendung. Art. 30. Alle Preussen haben das Becht, sich zu solchen Zwecken, welche den Strafgesetzen nicht zuwider- laufen, in Gesellschaften zu vereinigen.^ In Theorie und Praxis wurden diese Bestimmungen dahin interpretirt , dass die römisch-katholische Kirche in ihren Angelegenheiten mit absoluter Freiheit der Gesetzgebung ausgestattet sei. Von dieser Freiheit und der Selbstständigkeit über- haupt wnirde ein so weit gehender Gebrauch gemacht, dass man bis zum Jahre 1870 einen total neuen Zustand schuf. Da w^urden 1871 die Staatsmänner plötzlich inne, dass der Staat gegenüber der katho- lischen Hierarchie machtlos stand. Man kehrte nun zu dem Gedanken zurück, der Staat sei berechtigt, über die Grenzen seiner Machtbefugniss selbstständig zu bestimmen und ordnete, unter Aufhebung der entgegen- stehenden Verfassungs -Artikel, durch Staatsgesetze eine ganze Reihe von Gegenständen neu. Der dadurch entstandene Conflict dauert seit 1873 ohne Aussicht auf sein Ende, jedoch zum offenbaren Nachtheile der römischen Kirche.

In Frankreich, Spanien und Portugal ist im Wesentlichen seit 1801 keine Aenderung erfolgt. Nachdem im ersteren Lande der Versuch, durch ein Goncordat ^^) einen neuen Zustand zu schaffen, gescheitert war, blieb es bei der Staatsgesetzgebung in kirchlichen Dingen. Das

^■'^) Vom 11. Juni 1817 zwischen Piiis VII. und Ludwig XVIII. aufgehoben, weil die Kammern Bedingungen machten, die man niclit annahm. Vgl. Allokution Pius- VII. V. 23. Aug. 1819 (Bullar. Rom. Cont. T. XV. p. 238 sqq.).

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zweite Land hat verschiedene Goncordate erlebt, daneben den Stand- punkt der exclusiven Staatskirche festgehalten.

Eine gänzliche Veränderung ist in Italien eingetreten. Trotz des Goncordats vom 16. Febr. 1816 blieb im Königreich Neapel (beider Sicilien) das alte Staatskirchenrecht nebst der sog. Monarchia Sicula ^ß) in praktischer Geltung. In den übrigen Staaten hat es eine Anzahl von Goncordaten gegeben. Seit dem Jahre 1859 ist einer derselben nach dem anderen verschwunden, das Königreich Italien umfasst seit dem Gesetz vom 8. October 1870 die ganze Halbinsel mit Ausschluss des an Frankreich abgetretenen Savoyen und Nizza, nebst Sardinien und Sicilien. Dieses hat nach der Parole: cJiiesa lihera in stato libero, auf jede Gesetzgebung in kirchlichen Dingen verzichtet, dafür aber durch Staatsgesetze angeordnet, was ihm durch das staatliche Bedürf- niss geboten schien.

Für Pole7i und Russland ist der Versuch gemacht worden , durch Vereinbarungen zu sorgen ; die politischen Verhältnisse haben aber dazu geführt, dass die römische Kirche daselbst der vollsten Willkür anbei m gegeben ist.

Belgien hält fest an dem für Frankreich im J. 1801 geschaffenen Zustande, hat jedoch daneben je nach der herrschenden klerikalen oder liberalen Kammermajorität eine Reihe von Staatsgesetzen erlassen, welche einen grossen Aufschwung des Ultramontanismus ermöglichten. Die neueste Zeit strebt nach einer Reaction durch Wiederherstellung der staatlichen Macht in der Schule.

Nachdem in den Niederlanden das Goncordat vom 18. Juni 1827 '^), welches an Stelle des französischen trat, im J. 1854 mit gegenseitiger Uebereinkunft aufgehoben wurde, herrscht die volle Freiheit der kirch- lichen Gesetzgebung. Das Gleiche gilt für Grossbritannien seit der Katholiken -Emancipation und für die United States von Amerika, während in den südamerikanischen Staaten ein bunter Wechsel von Goncordaten und Staatsgesetzgebungen Platz griff, der daselbst einen wirklichen Ruhezustand ebensowenig zur Folge gehabt hat, als dies bisher auf dem politischen Gebiete der Fall war.

X. Wenn man die Entwicklung des modernen Staats erwägt, muss man zu der Meinung gelangen, die Kurie hätte für ihre Kirchen- politik folgende Gesichtspunkte als massgebend ansehen müssen: erstens den Anspruch auf die Gesetzgebung über alle diejenigen Punkte fallen zu lassen, welche überall zufolge der veränderten Verhältnisse von den Staaten als nothwendige Objekte ihrer Gesetzgebung angesehen worden

'«) Siehe die Schrift darüber von Sentis , überhaupt die unten zusammen- gestellten Autoren.

'') Darüber Münch, Goncordate IL 42 L Mejer, Propaganda II. 98.

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sind; zweitens gegen die Staaten mit äusserster Rücksicht zu verfahren, weil die geordneten Verhältnisse, die bessere Rechtspflege und vor Allem die verfassungsmässige Gestaltung den Staat auf ganz andere Füsse stellen, als vordem; drittens stets die Nothwendigkeit im Auge zu behalten, dass grössere Rücksichten auf die Protestanten zu nehmen seien in Folge der in den meisten civilisirten Staaten eingetretenen Gleichstellung der Angehörigen der verschiedenen Kirchen und Gonfes- sionen in politischer und bürgerlicher Beziehung, der dadurch in ver- schiedenen Staaten herbeigeführten besseren Lage der Katholiken, des Umstandes, dass die Katholiken erst im 19. Jahrhundert zur berechtigten Religionsübung in einzelnen Ländern gelangten, dass eine Reihe von Landesherren, welche katholische Unterthanen haben, der protestantischen Kirche angehören; viertens jede Rückkehr zu mittelalterlichen Sätzen und Einrichtungen in unserem Jahrhundert einfach abzuv^eisen. Nicht die Spur von alledem hat sich gezeigt ; nach jedv^eder dieser Richtungen ist das Gegentheil eingetreten, oder höchstens nur dann momentan nicht zum Ausdrucke gelangt, wenn man aus Gründen des Vortheils davon abzustehen für gut hielt; das ganze Streben der Kurie ging vielmehr seit 1815 unablässig darauf hinaus, selbst die weitgehendsten Grundsätze des Mittelalters als die richtigen zur allgemeinen Anerkennung und Geltung zu bringen ; je höher der wirthschaftliche, politische, geistige Fortschritt stieg, desto stärker, man kann sagen rücksichtsloser wurde das Bestreben der Kurie, denselben lediglich als Mittel zu benutzen, um seine Wirkungen zu vernichten und ein System wiederum zur Herrschaft zu bringen, über das die ganze gebildete Welt erbarmungslos den Stab gebrochen hatte. Plus VIL war am 24. Mai 1814 in Rom eingezogen, bereits am 7. August desselben Jahres erfolgte durch Bulle solUcitudo omnium ecclesiarum die Wiederherstellung der Gesellschaft Jesu unter förmlicher Verneinung des Breves dominus ac redemptor des Papstes Clemens XIV. vom 21. Juli 1773. Der Geist dieses Ordens ist es, der allmälig die volle Herrschaft in der Kirche erlangt hat. Sein Princip des blinden Gehorsams wurde allein massgebend. Jede Richtung in Theologie und Philosophie ^^), mochte sie noch so sehr sich bemühen, die katholische Sache zu stützen, wurde verurtheilt, die scholastische Methode allein ge- pflegt, bis Pius IX. sie zuletzt förmlich als die der Kirche erklärte ^9). Man sah das einzige Heil in einem förmlichen Netze von Orden und

^^) Es genügt hinzuweisen auf die Verdammungen der Lehren von Bolzano, Hermes, Günther, auf das Verfahren bezüglich der ,katholischen Gelehrtenver- sammlung''.

'^) Breve Tuas libenter vom 21. Dec. 1863 an den Erzbisehof von München- Freising. Syllabus Art. 13, dessen Art. 9—14 ebenfalls darauf fussen. Leo XIII. hat in der Encyelica vom 4. Aug. 1879 denselben Standpunkt eingenommen.

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Congregationen ^^) , welche zahllos sich bildeten, damit durch dasselbe die ganze Schaar der Gläubigen von dem einen Punkte aus, wo alle Fäden zusammen liefen, dirigirt werde. Man brachte es nach und nach fertig, dass es in Frankreich, wie in Deutschland u. s. w. als Zeichen eines ,guten, correcten' Katholiken galt, einzustehen für alle Forderungen Roms. Es ist hier nicht möglich, den kirchlich-sozial-politischen Bildungs- prozess eingehend zu schildern, welcher innerhalb des katholischen Volks sich vollzogen hat, da wir es hier nur mit einer Seite zu thun haben. Um aber diese richtig zu würdigen , ist ein kurzes Eingehen auf die Gründe nöthig ^^).

Die langen Erschütterungen, welche von 1789 bis 1815 die continen- talen Staaten trafen, und die in Italien fortwährend ihre Wirkungen zeigten, Hessen die Souveräne und Regierungen nur in der Herstellung unbedingter, straffer Autorität das Heil sehen. Von Rom w^ar bei jeder Gelegenheit darauf hingewiesen, dass nur im ,Felsen Petri' der wahre Halt sei. Man hatte in allen Tonarten vorgetragen, dass es mit Napoleon zu Ende ging, weil er sich am , Statthalter Christi' vergriffen, dass der Bann des Papstes gleich dem Mutterfluche vernichte. Die Religion, das war die offizielle Parole, kann allein helfen. ,Au nom de la tres- sainte et indivisible Trinite' wurden die Alliance, die Frieden, die Wiener Gongress-Acte geschlossen, im Art. 103 dieser der Saint -Siege in den Besitz des Kirchenstaats im alten Umfange mit Ausschluss des links-

*^) Hinschius, Die Orden und Congregationen, weist aus den Acten nach, dass allein in Preussen 1873 bestanden: 10 Mannsorden mit 46 Niederlassungen und 684 Mitgliedern. 8 Männer-Congregationen mit 32 Niederlassungen und 348 Mit- gliedern, 10 Frauen-0. mit 53 N. und 1161 M., 57 Frauen-Congr. mit 783 N. und 6602 M., dass von den 78 Manns-0.- und C.-Kiederlassungen seit 1848 entstanden sind 72, von den Frauen-Nied. von 1820 bis 1848 zwanzig, seitdem 561. Derselbe giebt aus den Statuten die Belege über die Aufnahme des jesuitischen Grundsatzes des Cadaver-Gehorsams in fast allen. Ich habe in der Schrift ,Die neueren kath. Orden und Kongregationen- aus den amtlichen Diözesan-Schematismen nachge- wiesen, dass es 1865 in Deutschland gab 871 Ordenspriester (17.273 Weltpriester), 1098 männliche, 7368 weibliche Reguläre, dass sich die Priester zu den kathol. Einwohnern wie 1 : 708, deren Zahl zu den männlichen Katholiken wie 1 : 354, die Zahl der Priester und Regularen zu der Gesammtzahl der Katholiken wie 1 : 481 verhielt, dass das Verhältniss in einer Diözese wie 1 : 40 war. Ich habe die Gründe der Zunahme des Regularwesens eingehend daselbst entwickelt.

'0 Zur Erkenntniss der Bildung der ultramontanen Herrschaft in Deutschland liefern die unten zusammengestellten Schriften Material, besonders Mejer zur Ge- schichte der römisch-deutschen Frage, dieser namentlich nach der staatlichen Seite, nach der inneren J. Friedrich, Geschichte des vatikanischen Concils, Bonn 1877. der ein ungeheueres Material beibringt. Ich habe eine Skizze der Entstehung geliefert in dem Art. ,Ultramontanism : its rise and progress' der Contemporary Review, London July 1878. Man darf aber die Erscheinung des Ultramontanismus, welche dessen Existenz voraussetzt, nicht als Badungsmoment auffassen.

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seitigen Po -Ufers von Ferrara wieder eingesetzt. Man sah alles Heil in einer strammen Regierungsgewalt, verfolgte in Deutschland und Italien alle nationalen Bestrebungen als revolutionär, so gewiss es ist, dass dem nationalen Aufschwung die Abschüttelung des Napoleonischen Jochs in Deutschland zu danken war. Die Legitimitäts-Theorie in schroffster Gestalt wurde herrschend. So bildete sich eine doppelte Richtung: die Einen sahen das Heil im Festhalten und möglichsten Wiederher- stellen des Alten, die Anderen gingen darauf aus, zu retten, was die Revolution von 1789 Gutes gebracht hatte: die Freiheit des Individuum, die Mitwirkung des Volkes, nicht blos der alten Stände, bei der Gesetz- gebung, der Besteuerung u. s. w. Mit eiserner Hand verfolgte man in den grössten deutschen Staaten: Oesterreich und Preussen die letzteren Bestrebungen, während allmälig in anderen jene Ziele verwirklicht wurden ^^). Die Zahl Derer nahm stets zu, welche in der Freiheit der Presse, des Wortes, der Vereine, des Unterrichts, der Person, des Ge- wissens, der Religion die Aufgabe der modernen Entwicklung erblickten. Eine wirkliche Rückkehr zu dem Alten war unmöglich, weil die staat- lichen Verhältnisse gründlich verändert, die wirthschaftlichen andere geworden waren und sich in Folge der Hebung der Naturwissenschaften und von Entdeckungen Industrie und Handel zu einem Factor heraus- gebildet hatten, welcher von der schablonenmässigen Leitung der Regierungsorgane unabhängig wurde und namentlich ausserhalb jeder Einwirkung der Kirche stand. Die Literatur schlug im Ganzen eine antiklerikale Richtung ein, die wohlhabenden Klassen neigten sich mehr und mehr dem religiösen Indifferentismus zu. Gegenüber dem grossen wirthschaftlichen Aufschwünge hatte man, abgesehen von einzelnen jener Gebiete, welche zu Frankreich geschlagen waren und ihren Rechts- zustand auch seit 1815 behielten ^^), es versäumt, frühzeitig genug die kleinen ländlichen Grundbesitzer durch Entlastung von Grund und Boden, an dem noch vielfach Reallasten in Diensten, Giebigkeiten aller Art, Jagdgerechtigkeiten u. s. w. hafteten, in eine Lage zu setzen, welche ihnen bei den kolossal gesteigerten Anforderungen Seitens des Staats, dessen Budgets durch die stehenden Heere und die erhöhten Forderungen für die Administration stets wuchsen, sich in einen Zustand der Wohlhabenheit zu versetzen, der sie ohne Neid zu den besser Situirten aufblicken Hess. Der lange Friede ^^) führte zu einer Vermehrung

^^) Siehe die Uebersicht in meiner deutschen Reichs- und Rechtsgeschiclite, 4. Aufl. S. 336 ff.

^^) Frankreich, Belgien, die Niederlande, deutsches linkes und rechtes Rhein- ufer, soweit letzteres zum Grossh. Berg gehört hatte.

^*} Deutschland genoss einen solchen, da das Jahr 1848 nur eine partielle Ausnahme machte (dänischer Krieg, Aufstände in Berlin, Dresden, Leipzig, in

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der Bevölkerung, welcher durch die Auswanderung nur wenig gesteuert wurde; die Industrie erzeugte einen bis dahin in einem grossen Theile des Continents ziemlich unbekannten Factor, den Fabrikarbeiterstand, dessen von den periodischen Schwankungen der Industrie abhängige Stellung ihn zu einem höchst geeigneten Gegenstande der Einwirkung macht. Inzwischen war die Masse des Volkes durch die Aufhebung der Gutsherrschaft, die sich in den französisch gewesenen Gebieten gründlich vollzogen hatte und erhielt, in den deutschen Mittel- und Kleinstaaten, sowie in Oesterreich und Preussen bis zum Jahre 1849 durchgeführt wurde, nach allen Richtungen unmittelbar unter die Staats- gewalt getreten. Dies, die unbedingte Steuerpflichtigkeit, die allgemeine Wehrpflichtigkeit in Preussen, die Thatsache, dass der Heeresdienst in den übrigen Ländern, wo Loskauf und Stellvertretung galt, ausschliesshch auf dem unbemittelten Manne lag, schien der ganzen Bevölkerung einen Anspruch zu geben auf Zugänglichkeit der politischen Rechte und Gleich- heit aller Bürger vor dem Gesetze. So herrschte in Wirklichkeit eine tiefe Unzufriedenheit in der grossen Volksmasse. Man hatte versäumt, diese selbst von Anfang an auf den höheren Standpunkt der Bildung zu bringen, welcher ihrer veränderten Lage entsprochen und sie be- fähigt hätte zur Erlangung einer besseren Stellung. Wohl wurde die Volksschule bedeutend verbessert, in Preussen bildete die allgemeine Militärpflichtigkeit und der Unterricht während der Dienstzeit ein be- deutendes Moment zur Hebung des Volks. Aber man hatte in Deutsch- land und Oesterreich thatsächlich die Volksschule dem Klerus gelassen oder ausgeantwortet *^). Und wenn man auch durch Gesetze die Schule für Staatssache erklärte, dem Staate die Aufsicht zuschrieb, sie durch Staatsgesetze regelte, so war das lediglich Schein. Der Pfarrer war der wirkliche Dirigent, der Lehrer von ihm abhängig, und bekanntlich hat diejenige Person Einfluss, welche mit den Leuten aus dem Volke unmittelbar verkehrt, nicht Derjenige, welcher gelegentlich einmal nach- sieht. In Italien bestand dasselbe Verhältniss. Frankreich versäumte es, den Grundsatz der allgemeinen Schulpflicht überhaupt aufzustellen und brachte es dahin, dass die Congregationen den Volksunterricht thatsächlich bis heute in manchen Gegenden vorzugsweise, überall in hohem Grade in der Hand haben. Durch den Ausschluss der Kirche aus der Schule bewirkte man anderwärts dasselbe, weil die Communal- oder Staatsschule jetzt ein Objekt des Angriffs wurde und dem Volke

Baden, Frankfurt) eigentlich von 1814 bis Ende 1863 (dänischer Krieg), Oesterreich hingegen hatte in Neapel, dem Kirchenstaate, Lombardo-Venetien auch während dieser Zeit die Hände voll, 1848, 1849, 1859, 1866 grosse Kriege. Frankreich 1830. 1848, 1859, solche.

^'^) Dabei blieb es in Oesterreich bis 1867, in Preussen bis 1872.

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als ^irreligiöses, kirchenfeindliches' Institut dargestellt wurde. Als man im letzten Dezennium begann, Wandel zu schaffen, war es zu spät; die lebende Generation ist bis zum gewissen Grade verloren; die nächste wird der beherrschen, der die Schule beherrscht. Die Richtigkeit dieses abgedroschenen Satzes zeigt sich in der Masslosigkeit, womit der Klerus überall seit Jahren für sein Recht der Leitung der Schule eintritt, das er auf die religiöse Pflicht der Eltern zu basiren liebt, weil es ihm passt, so wenig er auch um die Elternrechte sich sonst kümmert ^^). Zu diesen ziemlich gleichmässig wirkenden Gründen traten in einzelnen Ländern besondere, welche das Aufkommen des Ultramontanis- mus erklären. In Frankreich war die absolute Abhängigkeit der Masse des Klerus von den Bischöfen eine Folge des Instituts der Desservants ^'^).

^^} Nach dem canonischen Rechte ist Rechtens : Das Kind, muss getauft werden bei Zwang gegen die Eltern, die es nicht wollen, die Eltern können ihm nicht beliebige Namen geben ; eine Reihe von Personen können nicht Pathen sein; jeder Getaufte untersteht der Kirchengewalt; das 7jährige Kind kann sich ohne die Eltern zu fragen gültig verloben, der 14jährige Knabe, das 12jährige Mädchen ohne elterliche Erlaubniss eine gültige Ehe schliessen; mit 16 Jahren (unter ge- wisser Voraussetzung selbst mit 12) kann ein Mädchen, mit 16 Jahren ein Knabe nach dem Tridentinum ohne elterliche Einwilligung in einen Orden treten, womit die väterliche Gewalt gelöst ist; zum Eintritt in den geistlichen Stand ist deren Zustimmung nicht nöthig; ein 7j ähriges Kind kann selbstständig seine Begräbniss- stätte wählen ; die Religion bei gemischten Ehen hängt nicht von den Eltern ab ; ob ein Kind, das 7 Jahre alt ist, an gewissen Tagen Fleisch essen, ob eins über 21 Jahre an Fasttagen sich mehr als einmal sattessen dürfe, haben nicht die Eltern zu bestimmen ; das Kind soll nur in katholische , d. h. unter geistlicher Leitung stehende Schulen geschickt werden, wie lange, bestimmt der Pfarrer u. s. w. Und im Angesichte solcher Sätze reclamiren die Ultramontanen die Elternrechte, wenn es sich darum handelt, gegen Staatsgesetze Front zu machen.

^0 Das Concordat Art. 10 sagte: ,Les evequees nommeront aux eures. Leur choix ne pourra tomber que sur des personnes agreees par le gouvernemenf". Da das Staatsoberhaupt durch Art. 4 u. 5 das Nominationsrecht zu allen Bis- thümern und im Art. 6 einen Staatseid der Bischöfe erlangt hatte, glaubte Na- poleon der Bischöfe und des Klerus sicher zu sein und gab zur Ersparung von Geldern die Bestimmung der Articles organiques Art. 31 : ,Les vicaires et desser- vants exercent leur ministere sous la surveillance et la direction des eures. Us seront approuves par l'eveque et rhocables par lui'. Man richtete eine Minimalzahl von eures ein, meist in jedem Arrondissement nur eine, machte also die Masse der wirklichen Pfarrer im Sinne des Kirchenrechts ad nutum episcopi amovihiles. Dabei ist es geblieben bis auf den heutigen Tag in Frankreich und Belgien, den deutschen Gebieten, wo franz. Recht gilt bis 1873. In der Erzd. Köln waren 1865 unter 616 nur 47 wirkliche feste Beneficiaten, in der Diöcese Trier von 679 nur 65. Die auch von mir früher getheilte Ansicht, Rom sei mit der absoluten Amovibilität nicht einverstanden gewesen, ist irrig, es hat dieselbe gebilligt.. Darüber ist nach den Erklärungen der Prov. Synoden von Frankreich seit 1849 gar kein Zweifel (siehe die Zusammenstellung in Conc. collectio Lacensis IV. Ind. CLXI), sie be- rufen sich auf Erklärungen Gregorys XVI. und Pius IX. Auf meinen Antrag wurde Schulte, Geschichte. III. Bd. I. Th. 3

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Die Bischöfe selbst galten von dem Augenblicke an als unbedingt ab- hängig und absetzbar, wo der Papst im diametralen Widerspruche mit der ganzen Geschichte viele von der Revolution vertriebenen Bischöfe zum Verzichte auf ihre Sitze unter der Drohung der unfreiwilligen Ent- lassung gezwungen bezw. ihren Widerspruch ignorirt hatte ^^). Es wurde Mode, den Encyclopädisten und der sonstigen Wissenschaft die Revolution in die Schuhe zu schieben, den Gallikanismus daran theil- nehmen zu lassen; die Romantik, der bourbonische Geist, der Ueber- druss der besseren Klassen an der alten Frivolität thaten das Ihrige. So war es möglich ^^), dass die Theorieen des Grafen de Maistre, de Lamenais\ später die Bemühungen Lacordaire's, des Grafen Montalem- bert u. A. siegten. Brevier, Ritus, Katechismen, die Theologie, Erziehung des Klerus u. s. w. wurde römisch und jesuitisch, so dass schliesslich der gesammte Klerus entweder ultramontan aus Dressur wurde, oder nicht mehr den Muth hatte, sich gegen den Ultramontanismus that- kräftig aufzulehnen. Es kam dahin, dass Louis Veuillot in seinem

im deutschen Reichstage eine Resolution des Inhalts am 18. Dez. 1874 angenom- men: „den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, dahin zu wirken, dass die Sukkursal- pfarren (im Elsass) zu fest zu verleihenden erhoben werden." Dagegen hatte nur gesprochen ein Vicar, der Prinz Radziwill. Man hat die Durchführung auf- gegeben, weil es viele Desservants gebe, deren definitive Anstellung nach staat- licher und bischöflicher Ansicht nicht wünschenswerth sei !

^^) Concordat Art. 3: „Sa Saintete declarera aux titulaires des eveches frangais qu'elle attend d'eux avec une ferme confiance, pour le bien de la paix et de l'unite, toute espece de sacrifices, meme celui de leurs sieges. D'apres cette exhortation, s'ils se refusaient ä ce sacrifice commande pour le bien de l'Eglise (refus neanmoins auqucl Sa Saintete ne s'attend pas), il sera pourvu par de nou- veaux titulaires au gouvernement des eveches de la circonscription nouvelle de la maniere suivante^ Die Zahl der Bischöfe, die nicht resignirten und ignorirt bezw. amovirt wurden durch Neubesetzung der belassenen Sitze, betrug gegen zwanzig. Eine nicht unbeträchtliche Zahl beseitigte man durch Suppression der Diözesen, die zum Theil seit 1820 restaurirt wurden. Eine Zahl ich habe 4 notirt „constitutioneller" Bischöfe beliess man, obwohl nach päpstlichen Prin- zipien gerade diese, nicht die treuen, hätten amovirt werden müssen.

^^) Hierüber Friedrich a. a. 0. S. 42 ff. E. Michaud, De la falsification des catechismes frangais et des manuels de theologie par le parti romaniste de 1670 ä 1868. Paris 1872. Derselbe: Le mouvement contemporain des eglises. ib. 1874. Derselbe : L'etat present de l'eglise rom. cath. en France, in der Bearbeitung : ,Der gegenwärtige Zustand der römisch-kath. Kirche in Frankreich. Geschildert von Abbe Dr. E. Michaud. Unter Berücksichtigung der einschlägigen Verhältnisse Deutschlands bearbeitet von Fridolin Hoffmann. Bonn, 1876. Gute Gedanken und in einem wichtigen Punkte eine treffliche Beleuchtung in Charles Sauvestre, Les congregations religieuses devoilees. Paris, 1870. Die ultramontane Befeindung der ganzen neueren Entwicklung bei E, Grandclaude. Les principes de 89 et le concile. Paris, 1870. Die Biographie von Frayssinous, Montalembert u. A. giebt weiteres Material.

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, Univers' mit römischer Approbation dem Episkopat die Gesetze diktirte.

Was sich in Deutschland in gleichem, vielleicht noch grösserem Grade vollzogen hat, ist weit mehr die Folge politischer Motive, als innerkirchlicher ^^) Entwicklung.

Als die französische Republik Theile deutschen Gebietes an sich zu reissen anfing, waren die Katholiken des deutschen Reichs mit ge- ringen Ausnahmen Unterthanen geistlicher oder weltlicher katholischer Landesherren^^). Der Wiener Gongress und die deutsche Bundesakte liessen 38 Staaten bestehen, von denen 6 (Oesterreich, Baiern, König- reich Sachsen, beide Hohenzollern, Liechtenstein) katholische Landesherren hatten. Sachsen erhielt nicht nur kein neues Land, sondern verlor einen grossen Theil des alten, die drei letztgenannten bekamen nichts hinzu, Oesterreich hatte gegen den Erwerb, den es noch heute hat, das schwäbische Land verloren, Baiern allein eine Reihe katholischer und protestantischer Territorien gewonnen. Die depossedirten , beziehungs- weise ihrer Landesherrlichkeit entsetzten katholischen reichsständischen (reichsfürstlichen, reichsgräflichen) und reichsritterschaftlichen Häuser bildeten in den Staaten protestantischer Landesherren in der grossen Mehrzahl von Anfang an bis heute ein mit der politischen Entwicklung unzufriedenes Element ; ihnen gesellte sich zu der zahlreiche katholische Adel, der durch die Aufhebung der alten Stifte die fetten Versorgungs- stätten für die nachgeborenen Söhne und damit reichliche Quellen des Familienbesitzes verloren hatte; seine Glieder können es zumeist bis heute nicht verwinden, dass sie einfache Unterthanen in demselben Gebiete sind, das vordem wohl auch einem FamiKengliede gehorchte. Die Stellung dieser Familien, ruhend auf ihrem bedeutenden Grundbesitz und vielfach gerade auf dem Gewichte der historischen Tradition, machte sie, Avie sich das in Preussen bei allen Krisen so 1837 und seit 1872 gezeigt hat, zu Stützen der Opposition und des klerikalen Wesens. Es war ein grosser politischer Fehler, dass nirgends vor 1818^^) die Herstellung der zerrütteten Kirchen Verfassung stattfand.

^°) Für diese hat 0. Mejer, ganz besonders aber Friedrich die Entwicklung gezeigt. Letzterer schildert die Bildung der ultramontanen Theologie, Erzie- hung u. s. w. Ich habe in dem citirten Aufsatze die politischen zum Theil her- vorgehoben. Hier muss genügen, die einzelnen Punkte anzudeuten.

^0 Es gab am 1. Januar 1792 (siehe meine deutsche Rechtsgeschichte S. 587 ff.) in Deutschland, abgesehen von den Personalisten, 142 grössere und kleinere Terri- torien, welche 72 geistlichen, 70 weltlichen hatholischen Landesherren aller Art unterstanden , dazu 14 kathol. Reichsstädte , 95 Territorien unter protestantischen Landesherren, 32 prot. Reichsstädte, 5 gemischte Reichsstädte. In relativ grösserer Zahl gab es Katholiken nur als Unterthanen von 4 6 protestantischen Landesherren.

®^) Die Bisthümer in Baiern wurden erst 1818, 1819, 1821, in Preussen die

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In der theilweise langen Zwischenzeit hatte man sich daran gewöhnt, alle Schuld dem Staate zuzuschreiben; die Unsicherheit, die Gewöhnung der Einwohner an das geistliche Regiment ^^), die für den gewöhnlichen Mann bei seiner damaligen Bildung entscheidende Beobachtung, dass er mehr Steuern und Lasten erhalten habe und mehr ,regiert' werde, machten ihm alles Neue verhasst; der Name ,Preusse' wurde in West- falen und in der Rheinprovinz, wie ich aus meinen frühesten Jugend- erinnerungen weiss, und wird noch heute daselbst vielfach im Munde von Geistlichen und im Volke nicht als Bezeichnung des eignen Volks, als nationale gebraucht, sondern als eine rein politische mit unange- nehmer Nebenbedeutung. Dazu kam ein vielfach höchst ungeschicktes Administriren, ein Umwerfen des Bestehenden, ein Verwalten durch ein Heer von Beamten, die den östlichen Provinzen entnommen und meist Protestanten in ihren Bezirken keine Sympathie fanden und deren Ver- hältnisse oft nicht richtig zu beurtheilen vermochten. Das Volk kam durch die ungeschickte Art, wie man für den Protestantismus Propa- ganda machte, durch Errichtung von Pfarreien, sobald der geringste Ansatz dazu in protestantischen Beamtenfamilien bestand, durch die Gesetzgebung über gemischte Ehen u. s. w., zu der fatalen Ansicht: die Katholiken würden zurückgesetzt. Der politische Gegensatz zwischen Oesterreich, dessen Kaiserhause die Sympathieen des Adels und des Volkes entgegen schlugen, und Preussen wirkte bis zur Lösung des Bundes im Jahre 1866 unheilvoll. Die neuen Bischöfe waren von vorn- hinein mit sehr wenigen Ausnahmen, nicht blos allen Einflüssen Roms zu- gänglich, sondern fühlten sich als Nachfolger ihrer fürstlichen Vorfahren, zumal man gerade »bei der Restauration mehrere^*) aus Familien ge- nommen hatte, deren Tradition am Alten hing. Es trat ein Staats- kirchensystem ein, das gerade der Vorschriften über kirchliche Dinge genug gab, um der Anstellung von Klagen über Druck der Kirche, Mangel der Freiheit der Kirche Veranlassung zu bieten, und gleichzeitig lange nicht genug that, um das Volk selbstständig zu machen durch Organisation der Kirchengemeinden, Selbstbestimmungsrecht für kirch- liche Ausgaben, effektive staatliche Aufsicht über die Schule unter

westlichen erst 1821 resp. 1824, in der oberrheinischen Kirchenprovinz erst seit 1827 besetzt.

®^) Es ist wohl zu beachten, dass alle süd-, mittel-, nord- und westdeutschen Gegenden mit compacter katholischer Bevölkerung ehedem geistliche oder kathol. Landesherren hatten, beziehungsweise katholische Reichsstädte waren. Mainz, Aachen, Köln, Münster, Paderborn sind noch heute die Centralpunkte des Ultra- montanismus.

^■') In Münster war der erste, in Köln der zweite ein Droste-Vischering , in Paderborn ein Ledehur, in Trier ein Hommer.

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massgebender Mitwirkung der Gemeinden u. s. w. In der Praxis lag daher das kirchliche Regiment frei in den Händen der Bischöfe und Pfarrer, der Gesetzesbuchstabe und die hervorgehobenen Dinge boten aber die bereitwillig ergriffene Handhabe zur Klage. Diese macht sich in einer Reihe von Schriften ^^) sofort Luft und hat niemals verhallt. Das unglückliche Kölner Ereigniss von 1837^^) führte zum offenen Gegensatz. Man hatte längst und unmerklich den Plan in's Werk ge- setzt, den jungen Klerus umzubilden , da der ältere zufolge seiner Er- ziehung zumeist antikurial war ^ ^). Die alten Revolutionäre und Ro- mantiker, Görres an der Spitze, suchten in einer katholischen Partei das Mittel, ihre politischen Plane zu verwirklichen; eine Reihe von Geistlichen , die im Collegium Germanicum den römischen Geist einge- sogen, wurden angestellt, mit den Ultramontanen in Belgien und Frank- reich eine lebhafte Verbindung begründet. Als sodann der Erzbischof Clemens August von Köln in die Festung Minden abgeführt wurde, er- scholl der Kampfruf: Katholiken seid auf der Wacht, die Kirche ist in Gefahr. Friedrich Wilhelm IV. führte ein dem bisherigen gegentheiliges System ein, der Katholicismus sagte ohnehin seiner Romantik zu. Man hob eine Verordnung nach der andern auf, die Bischöfe brauchten nur zu trotzen, um zu reüssiren ^^). Die Errichtung von Knabenseminarien begann im Anfang der 40ger Jahre. Endlich kam die goldene Zeit der Verwirklichung aller ultramontanen Plane, an denen selbst jene mit arbeiteten, welche das Gegentheil wollten, wie der Card. F. Schwarzen- herg u. A. In Frankfurt a. M. nahm das Parlament ,die Freiheit der

®^) Eine Anzahl zählt die Uebersicht der Literatur auf.

®^) Siehe die Zusammenstellung der Literatur.

^') Wie wenig man früher in Preussen begriff, welche Bedeutung eine gründliche Bildung der kath. Theologen habe, beweist die eine Thatsache, dass in den westlichen Provinzen diejenigen, welche erklärten, katholische Theologie Studiren zu wollen, auch bei sonst ungenügendem Examen das Zeugniss der Reife für die Universität erhielten mit dieser Motivirung im Zeugniss , zufolge höherer Gestattung. Dabei ist's bis in die SOger Jahre geblieben. Die Bischöfe Hessen sich dieses geistige Armuthszeugniss gefallen, weil das Massen anzog, namentlich armer Bauernjungen, die als Geistliche nicht blos zu den willfährigsten Dienern, sondern auch zu den vom geistlichen Stande erfüllten Hierarchen sich qualifiziren. Steht doch schon im Conc. Trid. Sess. XXIII. c. 18. de ref. bezüglich der Auf- nahme in die Seminarien: ,Panperum autem fiUos praecipue eligi vult; nee tarnen ditiorum excludit, modo suo sumptu alantur et Studium prae se ferant Deo et ecclesiae inserviendi*-. Das unten beleuchtete System der Besetzung der Bisthümer und Kapitel durch Adelige illustrirt den Geist dieser Anordnung.

^^) So bei dem bekannten Schulconflict in der Diözese Münster. Was der Fürstb. Diepenbrock von Breslau, der Freund des Königs, gegen den die Vereidi- gung des Klerus auf die Verfassung anordnenden Ministerialerlass schrieb, ist das denkbar stärkste.

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Kirche' in die ,Grundrechte' auf, die deutschen Bischöfe hielten in Würzhurg^^) eine Versammlung, formulirten ihre Forderungen und bereiteten die Organisation einer katholischen politischen Partei vor, deren Prinzipien sind: Durchführung der kirchlichen Gesetze und For- derungen auf allen Gebieten, Wiedereinsetzung der Katholiken in die politische und soziale Leitung, unbedingte Botmässigkeit des Klerus unter den Bischöfen, Aller unter dem Papste, der selbstverständlich zu billigen hat, was die Partei für gut findet. Diese politische Partei hat seitdem in den Kammern von Preussen, Baden, Baiern, Hessen u. s. w. ihre Thätigkeit entfaltet, die hauptsächlich in Nörgeleien, Beschuldigun- gen der Zurücksetzung der Katholiken, Forderungen von Mitteln für die Kirche u. s. w. besteht; sie hat das Kernelement des ,Grossdeutsch- thums^ gebildet, nachdem das Jahr 1866 dem politisch ein Ende ge- macht, sich im deutschen Reichstage constituirt und, als der Versuch, das neue Reich zum päpstlichen Diener für die Herstellung des Kirchen- staats zu machen, kläglich misslungen war, nicht bloss prinzipiell oppo- nirt, sondern alle reichsfeindlichen Bestrebungen unterstützt.

IX. Wir müssen, bevor wir zum Schlüsse kommen, noch eine Be- merkung machen, die um so nothwendiger ist, als sie für die Beur- theilung der Gegenwart und den Blick in die Zukunft entscheidet. Eine ruhige und allseitige Prüfung der Geschichte unseres Jahrhunderts er- giebt, dass für Deutschland gilt dies unbedingt der Erfolg des Kurialismus ein Werk der Laien ist; die Thätigkeit der Geistlichen ist bloss eine durchführende gewesen. In der Wissenschaft wie im thä- tigen Leben ^^^) haben die Laien nicht bloss die Kastanien aus dem Feuer geholt, sondern an Opfern aller Art das Meiste geleistet. Das jetzt herrschende System ist historisch und innerlich unwahr. Je evi- denter das ist, um so klarer ist, dass der ganze Ultramontanismus politische Motive hat, dass er in dem Momente zerfällt, wo man ihn politisch brachlegt und dadurch die Möglichkeit schafft, dass innerhalb der Kirche selbst seine Vernichtung erreicht werde.

^«) Siehe die Verhandlungen im ,Archiv f. Kirchenrecht' Bd. 21 u. 22, die Schreiben derselben auch im Archiv von Ginzel, H. 2, S. 38 ff. Vgl. die Aufsätze im ^Deutsch. Merkur' 1879 Nr. 17—23.

^*^'') Chateaubriand, De Maistre, Montalembert kommen für Frankreich in Be- tracht ; J. Görres, Jarke, Phillips, Buss, v. Andlaw, v. Linde, v. Radowitz, v. Lasaulx, Lieber, Graf Brandts, Jörg u. s. w. haben in Deutschland gewirkt, in den Kam- mern ist die Wirksamkeit der Geistlichen sehr untergeordnet. Die Kirchenrechts- wissenschaft hat in Deutschland neben dem halben F. Walter, G. Phillips und, ich muss dies leider bekennen, wohl auch ich zu einem Rüstzeuge gemacht.

In neuester Zeit legt sich der Ultramontanismus die Geschichte mit Eifer zurecht. So z. B. Arturo Sterni Societä domestica, civile e religiosa al secolo de- cimonono. Piacenza 1878.

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Behält man die geschilderte Entwicklung im Auge, so wird die Art , wie die Päpste in unserem Jahrhundert verfuhren , " verständlich. Sie haben mit keiner Silbe jemals anerkannt, dass ein canonischer Satz nicht mehr gelte, dass die veränderten Verhältnisse von selbst das prinzipielle Festhalten von Forderungen verbieten, welche lediglich die Folge früherer historischer Entwicklungen waren, sie sind ganz, voll und rücksichtslos auf dem mittelalterlichen Standpunkte eines Bonifaz VIII. stehen geblieben ^^i).

^*^^) Beweise : Die auf Befehl des Papstes Pius Vll. erlassene ,Esposizione dei Sentimenti di Siia Santitä siilla Dicliiarazione de' Principi e Stati Protestanti riuniti della Confederazione Germanica*- in (Paulus) Die neuesten Grundlagen der deutschen kath. Kirchenverf. Stuttg. 1821 , S. 332 (Italien, und deutsch) , bloss deutsch bei Münch , Concordate IL 378., die z. B. 30 erklärt, der Papst könne prinzipiell nicht annehmen , dass die Civilsachen der Geistlichen vor den weltlichen Richter gehören. Dies halten durch die Fassung fest die Concordate: neapolit., 1818 Art. XX., bairisches Art. XII. c. Anders im österr. Art. XIII., württemb. Art. V. Abs. 4., badischen Art. V. Abs. 4., in denen es heisst : ,temporum ratione liabita Sanctitas Sua consentit, ut clericorum causas mere civiles, prout contractuum, debitorum, haereditatum judices saeculares cognoscant et defmiant'". Bezüglich der Criminalsachen der Geistlichen sagt das bairische nichts, im österr. und ba- dischen 1. c. haud impedit, im württemb. non recusat der Papst, dass die weltlichen Gerichte darüber urtheilen ; im österr. Art. XXXIII. ^permittit ac statuit* der Papst bezüglich der Zehntablösung; in allen drei (österr. V— VIII, bad. 7 ff., württemb. Art. 7, 8.) wird die Schule und die theologische Fakultät den Bischöfen aus- geantwortet. In derselben Weise wird in den Concordaten zugestanden die Staats- jurisdiction rücksichtlich gewisser Patronatsfragen {österr. Art. XII., württ. A. V.], manche Punkte des Vermögensrechts {österr. Art. XXX. XXXIII. , württ. Art. V. X.] u. dgl. Beim württemb. Concordate hat der Papst in der dazu für den Bischof erlassenen Instruction [vgl. den Württemb. Staatsanzeiger v. 1857, n. 139—146 im Separatabdruck daraus S. 3., auch v. Moy Archiv. IL S. 2861 ausdrücklich dem- selben „eingeschärft, dass derselbe in der hirtenamtlichen Leitung und Verwaltung seiner Diözese jene Rechte, von welchen im ersten Absatz des Art. IV. und im Art. VI. der Convention die Rede ist, zum Heil der ihm anvertrauten Heerde also ausübe, dass er niemals solche Canones erneuere, welche wegen Verschieden- heit der zeitlichen und örtlichen Verhältnisse nach der gegenwärtig gelten- den und von diesem apostolischen Stuhl gutgeheissenen Disciplin ausser Uebung ge- kommen sind oder durch die gegenwärtige Convention eine Modifikation erhalten haben.'' Wer aber dazu gehörte ich, wie meine Quellen S. 342 zeigen damals wirklich annahm, die Kurie sei gewillt, den modernen Verhältnissen Rechnung zu tragen, und nicht bloss zu simuliren, ist durch den Syllabus gründ- lich enttäuscht, der die Sätze verdammt : Art. 23, dass die Päpste die Grenzen ihrer Macht überschritten und Rechte der Fürsten usurpirt ; Art. 30, die Immunität der Kirche und kirchlichen Personen rühre vom weltlichen Rechte her; Art. 31, die geistliche Gerichtsbarkeit in Civil- und Criminalsachen der Geistlichen könne ohne Befragung und gegen den Einspruch des Papstes abgeschafft werden ; Art. 32, die persönliche Befreiung der Geistlichen vom Militairdienst könne abgeschafft werden; es sei mittelalterliche Lehre, den Papst mit einem freien in der ganzen Kirche handelnden Fürsten zu vergleichen; Art. 80: .Rom. Pontifex potest et debet cum

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Die Päpste haben auch im neunzehnten Jahrhundert, wenn sie dies ihrem Zwecke entsprechend fanden, alle Rücksichten bei Seite ge- setzt. Gingen sie nicht so weit, als in früheren Jahrhunderten ^^^), zur offenen Revolution aufzufordern, so ist die Art, wie sie verfuhren, nicht minder schwerwiegend und ihren Standpunkt kennzeichnend ^^^).

Rücksichtslos wird von der Kurie daran festgehalten, dass die Protestanten nur Ketzer seien, der bischöflichen und päpstlichen Juris- diction unterstehen; niemals ist prinzipiell anerkannt, dass die Ketzer- gesetze auf sie keine Anwendung finden ^^^).

Jede Gelegenheit, welche sich ergab, wurde von den Päpsten be- nutzt, um die Theorieen des Mittelalters zu preisen i^^). Nachdem schliesslich Pius IX. ohne einen solchen Widerspruch, der unter allen

progressu, cum liberalismo et cum recenti civilitate sese reconciliare et componere'". Vgl. die Art. 39 ff.

^^-) Paul III. entsetzte K. Heinrich VIII. von England in der Bulle Cum redemptor und forderte seine Unterthanen zur Empörung auf, ebenso verfuhr Pius V. in der Bulle Regnans in excelsis v. 25. Febr. 1570 gegen die Königin Elisa- beth (meine Macht der röm. Päpste S. 40 fg.).

^°^) Dem Proteste Innocenz' X. gegen den Westfälischen Frieden, Pius' VII. gegen den Wiener Congress (das. S. 50 fg.) gesellen sich zu als würdige Ge- nossen : Pius' IX. Allocution vom 22. Juni 1868 (a. a. 0. S. 52), welche das öster- reichische Staatsgrundgesetz vom 21. Dez. 1867 und das Gesetz vom 25. Mai 1868 als abscheulich für ,mit allen Folgen gänzlich nichtig und ohne jegliche Kraft erklärt^ desselben Encyclica vom 5. Febr. 1875, welche die preussischen Staats- kirchengesetze annullirt. Welcher Wandel! Das Edict der oberrhein. Kirchen- provinz 'vom 30. Jan. 1830 wurde im Breve Pervenerat vom 30. Juni 1830 bloss scharf getadelt, bei Aufhebung des württembergischen und badischen Concordats mit diplomatischen Protesten sich begnügt, nach dem Syllahus das mittelalterliche System praktisch gemacht. Das Stärkste hat Pius IX. in zahllosen Ansprachen u. s. w. geleistet, worin er eine geradezu staunenswerthe Fertigkeit in Schmähungen aller Art gegen Fürsten, Regierungen u. s. w. entwickelt. Siehe W. E. Gladstone, Reden Papst Pius' IX. Nördlingen 1876.

^°'') Den stärksten Beweis liefert der Brief Pius' IX. an den deutschen Kaiser Wilhelm vom 7. Aug. 1873, worin diesem begreiflich gemacht wird, er unterstehe als Getaufter dem Papste. Des Bischofs Konrad Martin Schrift ,Ein bischöfliches Wort an die Protestanten Deutschlands, zunächst an diejenigen meiner Diözese u. s. w. 2. Aufl. Paderborn 1864\ ist allerdings durch die Rücksichtslosigkeit, womit er die Protestanten seiner Diözese als ihm unterstehende Schaafe vindizirt, ein, wenn auch unkluges, aber ehrliches, Unicum. Jede päpstliche Bulle, Allocution u. s. w., die dazu Anlass bietet, bis auf die neuesten Ansprachen Leo's XIII. beweisen. Der Syllahus Art. 18 erklärt für unmöglich, in der protest. Religion Gott eben so gut zu gefallen, wie in der katholischen, fordert Art. 77 die Alleingeltung der kath. Religion, verwirft die Einwanderern in kath. Länder garantirte öffentliche Ausübung ihres Kultus. Die Belobung der Partei in Tyrol, welche gegen die Errichtung protest. Pfarreien Front macht, ist bekannt.

^'^O Die in den vorhergehenden Anmerkungen aufgeführten Belege, die Art. 13, 34, 80 des Syllabus allein genügen.

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Umständen Beachtung forderte, in der Bulle ,Ineffabilis Deus' vom 10. Dez. 1854 ein neues Dogma von der immaculata conceptio publizirt und im Syllabus vom 8. Dez. 1864 der ganzen modernen Weltan- schauung den Krieg erklärt hatte ^ stand für die ihn beherrschende Partei, deren Organ er war, fest: dass der Episkopat als willenloses Werkzeug betrachtet und demnach bei massgebenden Fragen ausser Ansatz gelassen werden dürfe, dass die Regierungen und die libe- ralen Parteien in dem Gefühle ihrer Sicherheit, zum Theil wegen der selbstgefälligen, in Wahrheit nur Schwäche bekundenden Auffassung: »man kann von Rom kein Aufgeben seiner Grundsätze verlangen«, und ihrer oberflächlichen Anschauung, niemand lasse sich in unseren Tagen durch kirchliche Fragen aufregen, kein Factor seien, den man in Betracht ziehen müsse, dass die ,katholische Partei' Alles und Jedes gutheisse, was der Papst thue.^ Man setzte ein ,ökumemsches' Concil in Scene, am 18. Juli 1870 stellte Pius IX. in der Bulle Pastor aeternus die persönliche Unfehlbarkeit und Allgewalt des Papstes in der Kirche als von Gott geoffenbartes Dogma auf. In diesem Momente hat die katholische Kirche, welche bis dahin im Papste ihr historisch aner- kanntes Haupt sah, eine totale Veränderung erfahren, die geschichtliche Entwicklung ist abgeschnitten^ darin liegt der innere Grund, mit dem Jahre 1870 dies Werk für das kath. Recht zu schliessen, welches nicht die Ab- sicht hat, Tagesfragen zu behandeln, oder Zwecken der Polemik zu dienen.

II. Die Theorie*),

§. 2.

1. Das päpstliclie Recht der Gesetzgebung.

I. Der Papst hat das unbeschränkte Recht der Gesetzgebung für alle Seiten der Disciplin, sowohl für die ganze Kirche, wie für die ein- zelnen Provinzen und Diözesen. Sein Recht geht sowohl auf die Er-

'"■) Es ist hier nicht der Ort, eine eigentliche Darstellung des positiven Bechts zu geben, für die auf meine Lehre von den Quellen des kath. Kirchenrechts, Giessen 1860, §§. 10 42, verwiesen werden darf, sondern nur zum Verständniss der Ge- schichte zu zeigen, welches die seit dem Concil von Trient zur praktischen An- wendung gekommene Theorie war, weil diese zur Erklärung des Folgenden nöthig ist. Ich unterlasse es daher, Citate aus früheren Quellen oder Schriftstellern zu geben, zumal ich a. a. 0. dies getliaA habe.

Die Gesetzgebung in Sachen des Glaubens bleibt ausser Ansatz, sie ist in meiner Schritt ,Die Stellung der Concilien, Päpste und Bischöfe u. s. w., Prag 1871' eingehend und rein quellenmässig erörtert, das für das Verständniss Nöthige im §. 1 dargelegt. Ueber die Grenzen des päpstlichen Gesetzgebimgsrechts siehe meine

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lassung von Gesetzen über Punkte, welche bisher noch nicht geregelt sind, als auch auf die Abänderung des bestehenden Rechts in Form der ahrogatio, derogatio oder obrogatio.

IL Die Art der Bekanntmachung, die Form der Erlasse hängt von seinem Belieben ab. Ist kein anderer Termin für den Zeitpunkt be- stimmt, an dem das Gesetz in Kraft tritt, so beginnt dessen Gesetzes- kraft zwei Monate nach dem Tage der Publikation in Rom ^). Von der besonderen Veröffentlichung in der einzelnen Diözese ist dessen Wirksamkeit nicht abhängig ^). Die Bischöfe sind zur Publikation ver- pflichtet 3).

III. Jeder Bischof hat, wenn er eine Constitution für seine Diözese nachtheilig findet, das Recht, dem Papste Vorstellungen zu machen, muss sich aber bei dessen Entscheidung beruhigen^).

§. 3. 2. Das Gesetzgebungsrecht der Provinzen und Bischöfe *).

I. Der Bischof erlangt die Befugniss zur Gesetzgebung durch die päpstliche Bestätigung. Sie erstreckt sich prinzipiell auf Alles, was in den Bereich der Kirche fällt, äussert aber ihre Kraft nur innerhalb der Diözese ^). Ihr unterstehen alle der jurisdictio ordinaria unterworfenen Personen, die übrigen nur dann, wenn ihm das gemeine Recht oder eine päpstliche Delegation über sie Gewalt giebt. Er handelt in diesem Falle tanquam delegatus sedis apostolicae ^).

II. Der Bischof ist berechtigt, seine Gesetze auf der Diözesansynode oder ausserhalb derselben zu erlassen. Die Synode hat nur einen be- rathenden Charakter, in keiner Angelegenheit, sofern nicht das jus

Quellen S. 88 ff. Die Const. Pastor aeternus vom 18. Juli 1870 liat das über den Haufen gestossen, was man vordem allgemein annahm und ich ohne jeden Wider- spruch 1860 gelehrt habe.

^) Von mir Quellen S. 76 ff. bewiesen. Dazu Bulle La suprema cura vom 25. Febr. 1864, die auch diese zwei Monate festhält.

■2) Siehe daselbst a. a. 0. und §. 99 ff., sodann §. 16 das.

^) Bened. XIV. De syn. dioec. L. IX. c. 8. Das Nähere in meinen Quellen S. 98 ff. c. 1.

-•) Bened. XIV. De s-yn. dioec. L. IX. Meine Quellen a. a. 0.

'0 Die nähere Erörterung in meinen Quellen S. 102—199, wo auch die For- men : Statuta synodorum dioecesanarum Hirtenbriefe, literae pastorales literae encyclicae Mandate, die Form der Publikation u. s. w. erörtert werden.

Am schärfsten ist die päpstliche Theoi'ie ausgedrückt in der Bulle Auctorem fidei Pius' VI.

^) Vgl. Conc. Trid. Sess. VI. c. 5, XIV. c. 2. 3, XXIII. c. 8. de ref.

-) Siehe die Zusammenstellung in meinem Lehrb. S. 358 Anm. 7, 368 Anm. 6. Phillips Kirchenrecht Bd. 6. S. 803 ff.

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commune eine Ausnahme macht, einen den Bischof beschränkenden, beschUessenden ; der Diözesanklerus überhaupt steht dem Bischof nicht mehr als Senat zur Seite, sondern nur das .Kapitel in den einzelnen ihm durch das Recht zugewiesenen Angelegenheiten 3). Die Synodal- statuten sind also nur eine besondere Form der bischötlichen Erlasse. Kein Erlass ist an die Annahme des Klerus oder der Laien gebunden.

III. Sowohl den Umfang als die natürliche Grenze der legislato- rischen Gewalt des Bischofs bestimmt das jus commune. Hieraus folgt:

1) Der Bischof kann secundum jus commune Gesetze aller Art er- lassen. Darunter sind begriffen: a) Anordnungen zur Ausführung der Beschlüsse der Generalsynoden und päpstlichen Constitutionen. Sie sind secundum jus, wenn nicht nur der Wortlaut, sondern auch der Grund derselben (ratio legis) durchaus aufrecht, erhalten wird. Es kommt also nicht darauf an, ob der unmittelbare Gegenstand der Anordnung im jus commune enthalten sei oder nicht. Vielmehr ist jede Vorschrift secundum jus commune, welche die Ausführung des gemeinen Rechts- satzes mit Rücksicht auf die Verhältnisse der Diözese: Oertlichkeit, Bevölkerung, Zeitumstände u. s. f. herbeiführt, oder, ohne dass gegen das jus commune Verstössen wird, einen Punkt ordnet, welcher zur Aufrechthaltung der Rechtsordnung vom Bischöfe, in dessen Befugniss er an sich liegt, bestimmt wird*), b) Wenn das jus commune den Bischof ermächtigt, oder anweist, einen Punkt zu ordnen, oder auch mit Rücksicht auf die besonderen Verhältnisse seiner Diözese anders zu bestimmen, als dies vom jus commune geschehen ist ^).

^) Die Beweise und nähere Austuhrnng in meinen Quellen S. 106 ff., System §§. 41. 68, Lehrbuch §§. 58. 89. Bened. XIV. De syn. dioec. L. III. c. 12. XIII. c. 1. u. ö. Siehe Bulle Auetor em fidei num. 9 11. Soweit das Kapitel ein Recht hat, consilium oder consensus zu geben, ist seine Mitwirkung nöthig. lieber die Folgen a. a. 0. Die Gesetzgebung des Kapitels sede vacante, der Praelati in- feriores, Vicarii apostolici (meine Quellen S. 118 ff.) bedarf keiner besondern Dar- stellung, da sie ganz analog und sehr unbedeutend für die Entwicklung ist.

^) Z. B. Conc. Trid. Sess. XXI. c. 2 de ref. fordert den titidus ordinationis, schreibt aber nach der Natur der Sache die Höhe der Einkünfte nicht vor. Diese zu bemessen und festzusetzen ist Sache der Ordinarien. Benedict XIV. De syn. dioec. L. XII. c.'IX. n. 1. Ist ein Satz des jus commune ohne aufgehoben zu sein, faktisch ausser Uebung, so handelt er, wenn sich derselbe als nützlich oder noth- wendig erweist, secundum jus c, wenn er ihn erneuert, Cf. Conc. Trid. Sess. XII. c. 1. de ref. Ist es zweifelhaft, ob ein Act, der an sich der bischöflichen Compe- tenz untersteht, erlaubt oder verboten ist : so kann er entscheiden, denselben ver- bieten, auch wenn ihn die Mehrzahl für erlaubt hält : Bened. XIV. 1. c. L. VII. c. III. n. 1 ff. ; Benedict. XIV. 1. c. L. XL c. IIL n. 9, L. XL c. XII. n. 4 giebt Bei- spiele hiefür.

•^) Solche Ermächtigungen finden sich im Conc. Trid. Sess. XXIV. c. 8, 10, 12, 13, 18 de ref., Sess. VI. c. 2 de ref., Sess. XII. c. 7 de ref., Sess. XIIL c. 1 de ref., Sess. XIV. c. 6, Sess. XXII. c. 1, XXIII. c. 1, 18 de ref., XXIV. c. 1, 8 de ref. matr.

2) Der Bischof ist berechtigt, Gesetze zu geben j^raeter jus commune. Hierunter versteht man Bestimmungen, welche nicht im jus commune enthalten sind, aber au(^ von demselben nicht verboten w^erden, also neben, ausserhalb desselben liegen, weder gegen einen ausdrücklichen Satz desselben Verstössen, noch dessen Prinzipien verletzen ß). Prinzip für diese Befugniss ist, dass der Bischof durch solche Bestimmungen die Wirksamkeit des jus commune hebt, ermöglicht, oder für Verhält- nisse Sorge trägt, welche als rein partikuläre nach der Natur der Sache kein Gegenstand der allgemeinen Gesetzgebung sind.

Aus dem Dargestellten ergiebt sich, dass der Fall einer Anwendung des Gesetzgebungsrechts secundum und praeter jus commune im Grossen vorliegt, wenn ein Bischof eine ganze Rechtsmaterie durch ein organi- sches Gesetz ordnet, dessen einzelne Sätze entweder direct im jus com- mune enthalten sind oder consequent aus ihm fliessen, oder praeter jus commune gehen, oder endlich zu den Punkten gehören, welche als reine Diözesanangelegenheiten der unbedingten Gompetenz des Bischofs unterstehen ^).

Gegen das gemeine Recht ^ contra jus commune j hat der Bischof keine Macht Gesetze zu geben ^). Ein Satz verstösst aber contra jus commune, wenn er widerstrebt, entweder 1. der Bestimmung eines concilium generale, oder 2. einer constitutio sedis apostolicae, oder 3. einem allgemeinen Gewohnheitsrechte.

Unzweifelhaft ist nun ein bischöfliches Gesetz contra jus commune,

'^) Beispiele: Weder c. Quum inhihitio 3 X. de cland. despons. IV. ?, noch c. 1 de ref. matr. Conc. Trid. haben die einer ohne Aufgebot und ohne Dispens hiervon statthabenden Eheschliessung beiwohnenden Zeugen mit Strafen bedroht. Das kann der Bischof, weil er hierdurch die Einhaltung des Rechts sichert. Conc. Trid. Sess. XXIII. c. 6 de ref. bestimmt nicht die Art des Dienstes, welchen ein Clericus zur Gewinnung des Privilegium fori leisten muss. Diese kann der Bischof bestimmen: resol. Congr. Conc. in Oppiden. 16. Jan. 1660. Das jus commune setzt, wo es die Kindertaufe befiehlt, keinen Zeitpunkt fest, innerhalb dessen sie zu geschehen habe. Das thun manche bischöfliche Constitutionen, welche als praeter jus commune gültig sind. Bestimmungen über den vom jus commune nicht festgesetzten Zeitpunkt, mit dessen Ablaufe erst ein Begräbniss stattfinden darf; die Vorschrift, dass Keiner, der an einem beneficium ein unbestreitbares jus in re erlangt hat, ohne bischöfliche Erlaubniss einer Person Geld geben dürfe, damit sie eine beabsichtigte unberechtigte Klage unterlasse, obwohl das jus com- mune in c. dilectus 28 X. de simonia V. 3 den bischöflichen Consens nicht fordert. Diese und andere Beispiele bei Bened. XIV. 1. c. L. XII. cap. VI.

') Das treffendste Beispiel dieser Art bietet die für Oesterreich von den Bi- schöfen für ihre Diözesen publizirte „Instructio pro judiciis ecclesiasticis Imperii austriaci quoad causas matrimoniales."

^) Bulle Auctorem fidei. Bened. XIV. Lit. Magnae nohis cit. „Romanus autem Pontifex est supra jus canonicum; at quüibet episcopus eo jure inferior est proin- deque illius legibus derogare nequiV

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folglich nichtig, wenn 1. das, was dasselbe erlaubt oder gar gebietet, direkt in einer Quelle des jus commune verboten ist^); 2. wenn dasselbe ver- bietet, vielleicht gar mit Strafen belegt, was im gemeinen Recht unbedingt erlaubt ist i"); 3. wenn ein bischöfliches Gesetz Handlungen in einer be- stimmten Weise gebietet, gegentheilige mit Strafen belegt, welche das jus commune dem Belieben überlässt, oder wofür dasselbe mehrere Arten der Erfiällung alternativ anerkennt ^ ^) ; 4. wenn ein bischöfliches Gesetz bei Strafe der Nichtigkeit eine bestimmte Form eines Aktes fordert, den das jus commune ohne solche für gültig anerkennt ^2); 5. wenn ein Bischof unter der Folge der Nichtigkeit oder von Strafen bestimmte Eigenschaften, Bedingungen oder dergleichen für die Setzung eines Rechtsaktes, den Genuss einer kirchlichen Gnade u. s. f. fordert, welche das jus commune zulässt, wenn nur die von ihm geforderten Bedingungen vorliegen i^); 6. wenn ein bischöfliches Gesetz Gegenstände in seinen Kreis zieht, und darüber Anordnungen trifft, welche zufolge ihrer Natur oder Kraft apostolischer Constitutionen oder Bestimmungen eines allgemeinen Gon- cils nur dem Gesetzgebungsrechte defe Papstes bezw. des allgemeinen Goncils vorbehalten sind^*): 7. wenn ein Statut die dem päpstlichen Stuhle reservirten Rechte, überhaupt die privilegia sedis apostolicae ver- letzt ^^); 8. bischöfliche Statuten, welche Strafen festsetzen, deren An-

^) Z. B. ein Statut, dass das Perrückentragen der Geistlichen bei Lesung der Messe erlaubt. Bened. XIV. 1. c. L. XI. c. IX. n. 5.

^°) Z. B. ein Statut, das anordnet, in Beneficialsachen sei die nach dem jus commune gegebene Appellation mit Suspensiveffect nicht zulässig. Bened. XIV. 1. c. L. XII. c. I. n. 3.

^0 Das jus c. befiehlt den Besuch des sonntäglichen Pfarrgottesdienstes, der österlichen Beichte in der Pfarrkirche, das Anhören der Predigt gerade in dieser nicht mehr; dies gebietende bischöfl. Statuten sind contra jus. Bened. XIV. De syn. dioec. L. XL c. XIV. n. IL 13.

*0 Z. B. die absolute Vorschrift einer bestimmten Form der Eingehung eines Verlöbnisses: Mein Handbuch des Eherechts S. 368; der Fall, wenn ein Bischof die Vorschrift des cap. 1 de ref matr. Sess. XXIV. Conc. Trid. über die Form der Eheschliessung als sein Gesetz, nicht als das des Tridentinums , jedoch mit der Wirkung der Nullität für den Unterlassungsfall vorschriebe: ehendas. S. 71, Anm. 58.

^0 Bischöfliche Statuten, welche neue Irregularitätsgründe (Bened. XIV. 1. c. L. XII. c. III. n. 6 ff., Mein Sj^stem S. 119 Anm. 5), neue trennende Ehehinder- nisse [Bened. XIV. 1. c. L. XII. c. V. n. 2, XIII. c. XXIII. n. 3 u. a., Mein Handbuch des Ehereclits S. 350 ff.] aufstellen, über Dispens der gemischten Ehen entscheiden {ders. L. IX. c. III. n. 2 ff.) oder überhaupt über Dispensen von Ehehindernissen (ders. L. IX. c. IL n. 3 ff.).

^■*) Die Entscheidung von dogmatischen Fragen c. Majores 3. X. de baptismo in. 42. Aufhebung eines in der Kirche bestehenden allgemeinen dies festivus : Bened. XIV. 1. c. L. XIII. c. XVIIL n. 11.

^0 Diözesangesetze gegen die päpstlichen Reservate ; Ermächtigungen, welche nur der Papst ertheilen kann, in Betreff der jurisdictio in foro interno u. dgl.

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drohung überhaupt die Competenz des Bischofs überschreitet, ebenso diejenigen, welche in der Folge der Strafen die vom jus commune ge- setzte Ordnung oder das bestimmte Mass nicht einhalten i^); 9. Ge- setze über Verhältnisse, welche dem Bischöfe nur insoweit unterstehen, dass derselbe die Ausführung der Bestimmungen des jus commune zu überwachen und für den Fall der Ausserachtlassung die vom jus com- mune verhängten Strafen zufügen, die nach demselben zulässigen Mittel gebrauchen darf 1^); 10. Constitutionen, welche Fragen, die nicht ent- schieden sind, in einer bestimmten Weise entscheiden und hierauf ge- stützt Gebote oder Verbote erlassen oder Ermächtigungen geben i^).

^®) Der Bischof kann ex jure communi zur actualis degradatio nur schreiten a) bei den Verbrechen, auf welche dieselbe als Strafe speziell gesetzt ist, b) bei andern nach fruchtloser Anwendung der im c. Quum non ah homine 10 X. de jud. IL 1 bestimmten. Desshalb ist ein Gesetz, das, um den verderbten Zustand des Klerus zu bessern, jene Strafe auch anders androht, contra jus : Bened, XIV. 1. c. L. IX. c. VI. n. 11. Der Bischof kann zur Aufrechthaltung der disciplina cleri nach Conc. Trid. Sess. XXII. c. 1 de ref. Strafbestimmungen, Verbote für Spiele u. dgl. erlassen. Würde er aber jedes, selbst seltene und kein Aergerniss hervor- bringende Spiel zum Vergnügen bei Strafe der excommunicatio latae sententiae verbieten, oder ohne die äusserste Notli die censura excomm. latae sententiae, suspensionis oder interdicti verhängen, so wäre das Gesetz contra jus. Denn ob- gleich solche Bestimmungen an sich dem Bischöfe zustehen , Verstössen sie doch gegen das zuletzt im Conc. Trid. Sess. XXV. c. 3 de ref. ausgesprochene Princip. Bened. XIV. 1. c. L. IX. c. II. n. 2, L. X. c. I. n. 3, L. X. c. III. n. 4.

^^) Gesetze über Verhältnisse der Regularen, in Betreff deren das jus com- mune dem Bischöfe nur custodia und vigilantia einräumt. Er darf sich hier auch nicht einmal der Ausdrücke statuimus oder praecipimus bedienen. Fagnani ad c. Quod super liis 9 X. de maj. et obed. I. 38, num. 25, Bened. XIV. 1. c. L. IX. c. XVII. n. 1.

1^) Constitutionen, welche die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der täglichen Communion bei Laien ordnen, was dem Ermessen des Beichtvaters überlassen bleiben muss , der sich an die bewährten Autoren zu halten hat : Bened. XIV. 1. c. L. VII. c. XII. n. 6, welche entscheiden, ob zum sacramentum poenitentiae die attritio mere servilis genüge oder amor saltem initialis erforderlich sei: Ders. L. VII. c. XIII. n. 9, über das Denunciren des Confessarius (ad turpia) sollicitans Vorschriften geben: Ders. L. VI. c. XL n. 9.

Ein anderes Beispiel von Interesse giebt Bened. XIV. 1. c. L. XII. c. VI. n. 11 fg. Das Conc. Trid. Sess. XIII. de Eucharistia cap. 7 schreibt vor, dass Keiner „sibi conscius peccati mortalis" ohne vorherige Beicht die h. Communion em- pfangen solle und sagt, von den Priestern redend, „quibus ex officio incubuerit celebrare", dass auch sie diese Vorschrift erfüllen sollten, ,,modo non desit Ulis copia confessoris"", und fährt hierauf unmittelbar also fort : „Quod si necessitate urgente sacerdos absque praevia confessione [nemlich in solchem Zustande] cele- braverit, quam primum confiteatur. " Dies haben Manche als consiUum aufgefasst, Andre quam primum so aufgefasst , dass es sich auf die nächste Beichte beziehe, die der Priester ablege. Alexander VII. hat durch Dekret v. 18. Mart. 1666 diese Meinungen verworfen. Benedict sagt nun, die gemeine Ansicht der Moralisten

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11. Gesetze, welche Verhältnisse ordnen, die sich in der Diözese gar nicht finden, wenngleich der Inhalt mi sich keine üeberschreitung seiner Competenz enthält i^). 12. Allgemeine Anordnungen über Dinge, bei denen jura singulorum in Frage kommen ^^). Solche sind nicht in legislatorischem Wege zu entscheiden, sondern entweder nach Anhörung bezw. Zustimmung der Betheiligten zu regeln, oder, wenn das nicht zum Ziele führt, durch richterlichen Spruch. Dies fordert die Achtung des kirchlichen Rechtes vor dem jus quaesitum. 13. Oft ist zweifelhaft, ob ein Satz noch in Kraft stehe, z. B. wenn eine päpstliche Constitution in der Praxis innerhalb einer Provinz nicht ausgeübt worden ist. Wenn- gleich nun auch ein Gesetz durch ein entgegenstehendes Gewohnheits- recht abrogirt werden kann, so darf der Untergebene in legislativer Form nicht entscheiden, dass ein solches nicht gelte 2^).

Dem jus commune steht gleich dessen authentische Interpretation durch den Gesetzgeber. Zu dieser sind einzeln die Kardinals-Gongre- gationen ermächtigt (§. 8). Eine derartige Interpretation bildet einen Theil des jus commune selbst, auch wenn sie eine extensive ist. Bischöf- liche Constitutionen, welche gegen solche Verstössen, gehen folglich gleichfalls contra jus commune ^ 2).

nehme an, der Priester komme der Vorschrift des Concils durch Beichten intra triduum nach, ihm aber scheine es, dass der Bischof hierüber nichts festsetzen dürfe ohne Befragung des päpstlichen Stuhls, sondern diesen Punkt den Moral- conferenzen des Klerus zu überlassen habe, in denen die Ansicht der Theologen entscheiden müsse, „quos via media inter rigorem et laxitatem incedere norunt." '9) Ein Beispiel giebt Bened. XIV. 1. c. L. VI. c. III. n. 7.

20) Bened. XIV. 1. c. L. V. c. III. n. 7.

21) Bened. XIV. 1. c. L. XII. c. VIII. n. 8 ff. führt als Beispiel die nicht überall angewendete Bulle Paul's II. Amhitiosae (c. un. de reb. eccl. allen, in Extr. comm. III. 4) an , und zeigt , wie sich in solchen Lagen zu verhalten sei. Andre Punkte der Art sind die oft behauptete Berechtigung der Bischöfe, auf Grund eines Gewohnheitsrechtes von Ehehindernissen überhaupt und von dem aufschie- benden imp. mixtae religionis dispensiren zu können. Bened. XIV. L. IX. c. II. n. 3 ff., c. III. n. 2 ff. Mein Handb. des Eherechts S. 246 ff., 353 fg.

22) Bened. XIV. 1. c. L. XII. c. VI. n. 5, der folgendes Beispiel giebt. Das Conc. Trid. Sess. XXIII. c. 6 de ref. fordert, damit ein clericus das privilegium fori habe, unter Andrem, dass er „alicui ecclesiae ex mandato episcopi inserviat." Der Bischof kann nun (Cf. oben Anm. 6) die Art des Dienstes bestimmen. Die Congr. Conc. in Senogallien 23. Jan. 1603, Neapol. 1. Febr. 1614 hat entschieden, dass ein Clericus das Privileg geniesse , auch wenn er einer andren als der vom Bischöfe bestimmten Kirche diene, weil sie authentisch den Sinn des Concils dahin interpretirt , dass die Worte ex mandato episcopi nicht so aufzufassen seien , als enthielte der Dienst an der vom Bischof bestimmten Kirche die Bedingung für dieses Privileg. Ein bischöfl. Statut, welches gleichwohl dies ausspricht, ist also contra jus commune. Derselbe giebt L. XII. c. VI. n. 10 ein anderes interessantes Bei&piel dafür an, wobei er auseinandersetzt, dass er anders entschieden haben würde.

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Widerstreitet ein bischöfliches Gesetz dem jus commune, so kann sich der Verletzte, also das Kapitel, bei einem den Klerus überhaupt betreffenden Gesetze Jeder aus diesem, bei einem die Diözesanen be- treffenden auch jeder Diözesan, mit einer Beschwerde an den Papst wenden, der natürlich von Amtswegen eine Untersuchung vornehmen kann. Ist der Conflict begründet und für die Erlassung des Gesetzes keine Nothwendigkeit , zu deren Darlegung man dem Bischöfe stets Gelegenheit bietet, so wird dasselbe als lex nulla cassirt^^). Hält ein Bischof eine vom jus commune abweichende Bestimmung im Interesse seiner Diözese durch deren besondere Verhältnisse geboten, so hat er sich vor Erlassung derselben an den apostolischen Stuhl zu wenden mit der Bitte, ihn zur bezüglichen Sanktion zu autorisiren, oder sein Gesetz zu sanciren. Die Untersuchung pflegt der Gongregatio Concilii überlassen zu werden, deren Dekret entweder einfach bestätigt wird, oder zur Grundlage eines besondern päpstlichen dient 2*).

IV. Die bischöfliche Gesetzgebung hat eine weitere Schranke an den Beschlüssen der Provinzialsynoden. Dies ergiebt sich aus der Be- deutung von deren Gesetzen. In gewisser Beziehung ist demnach ein gegen einen Beschluss^ der Provinzialsynode verstossendes bischöfliches Gesetz contra jus commune, weil dieses die Stellung jener über den Bischöfen der Provinz anerkennt.

V. Die Provinzialsynode^^) hat nach dem neueren Rechte eine Gesetzgebung, welche in folgende Grenzen eingeschlossen ist:

Es steht ihr demnach

1. das Recht. zu, allgemeine Anordnungen zu erlassen für die Pro- vinz bezw. diejenigen Territorien, deren Ordinarien dieselben zu besuchen haben, secundum jus commune. Dahin gehören : a) die Publikation der Beschlüsse der allgemeinen Synoden und die Erlassung der Ausführungs- Verordnungen, insoweit die Einheit der Provinz solche bedingt, b) die Aufrichtung von Vorschriften in Punkten, für welche das allgemeine Goncil bezw. päpstliche Gesetze dem Provinzialconcil die Ermächtigung oder Verpflichtung ertheilen, den Bedürfnissen der Provinz entsprechend besondere ^^) Satzungen zu treffen.

23) Beispiele bei Bened. XIV. 1. c. L. XI. c. XIV. 11. 13, L. IX. c. XVII. n. 1, c. VI. n. 11 ff. L. IX. c. II. n. 2. L. X. c. I. 11. 3. c III. n. 4. L. XII. c. 1, n. 1 ff.

24) Vgl. Bened. XIV. 1. c. L. IX. c VI. n. 11 ff., c. IL n. 2, L. X. c. I. n. 3, c. III. n. 4 u. ö.

2'') Ueber das Detail siehe meine Quellen §. 26 ff., dazu System §. 67, Lehr- buch §. 88 , wo die Rechtssätze über die Berufung , Leitung u. s. w. entwickelt sind, welche nicht hierher gehören.

2') Solche Ermächtigung für Abänderung und Ergänzung des Dekrets über die Seminarien giebt Conc. Trid. Sess. XXIIL c. 18 de ref. §. Postremo, zur Er- lassung einer Vorschrift über die Form des processus inquisitionis Conc. Trid.

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2. Praeter jus commune für die Provinz Gesetze zu erlassen. Da- gegen dürfen sie

3. contra jus co^mnune keine Bestimmungen fassen. Als solche stellen sich heraus: a) alle in Betreff der Bischöfe aufgezählten Punkte mit selbstverständlicher Ausnahme des sub n. 11, indem das Provin- zialconcil Verhältnisse festsetzen kann, die sich in der Provinz befinden, wenngleich sie nicht in allen Diözesen vorkommen 2^), b) Beschlüsse, Vielehe den eigenthümlichen Wirkungskreis der Ordinarien ohne eine ausdrückliche Ermächtigung hierzu ex jure communi, durch Gewohn- heitsrecht, oder päpstliches Privileg, gegen den Widerspruch des bethei- ligten Bischofs 2^) verringern, oder eine vom jus commune den Ordinarien ausdrücklich beigelegte Befugniss aufheben oder beschränken.

VI. Die Beschlüsse des Provinzialconcils declarirt der einzelne Or- dinarius! Ist dieser zweifelhaft, so trägt er die Sache dem Metropoliten vor, der mit Zuziehung der Suffragane eine bis zur nächsten Synode geltende authentische Interpretation erlässt 2 9).

VII. Weder durch die stillschweigen'de, noch durch die ausdrück- liche Approbation des Papstes erlangen die Beschlüsse einen andren Charakter, sie bleiben Gesetze für die Provinz, die darüber hinaus als solche gar keine Kraft haben ^^). Dies findet nach der Natur der Sache auch dann statt, wenn die Beschlüsse contra jus commune gehen und desshalb allerdings einer Bestätigung bedurften. Ist diese ertheilt, so hat dadurch das Gesetz als solches Kraft erhalten, ist erst geworden: dass es aber über das Territorium ausgedehnt und allgemeine Geltung haben solle, ist unmöglich anzunehmen. ^Sollte also ein solches Gesetz allgemeine Geltung haben, so müsste das vom Papste ausdrücklich er- klärt sein. Mit einer solchen Gonfirmation hörte aber dasselbe auf, Beschluss einer Provinzialsynode zu sein und bildete eine päpstliche Con- stitution.

Sess. XXIV. c. 1 de ref., in Betreff der Üfficien u. s. f. eod. c. 12 de ref., in Be- treff der Besetzung der Pfarreien eod. c. 18 de ref. Vgl. z. B. in der Hinsicht die Acta concilii Vienn. Tit. VI. cap. I., Tit. VII. cap. IL (de concursu parochiali), cap. VI. (de bonorum eccles. administratione) Tit. III. cap. XII. (de clandestinis sponsalibus).

^0 Die Entscheidung von rebus fidei gehört entgegengesetzt der altern Zeit nicht mehr zu der Competenz der Provinzialconcilien. c. 3 X. de baptismo III. 42. (Innoc. III.) „Majores ecclesiae causas, praesertim articulos fidei contingentes, ad Petri sedem referendas intelliget" u. s. w. Vgl. Bened. XIV. 1. c. n. 1 u. 2. 3-

^^') Denn in solchen Fällen hat offenbar Anwendung: „Quod omnes tangit debet ab omnibus approbari" reg. jur. 29 in VIto.

^^) Acta Concilii Viennensis Tit. II. cap. IV. (pag. 69) in fine.

^'^) c. ult. de constit. in VIto. I. 2. Fagnani in cap. Canonum statuta 1. X. de constitut. num. 13 18 (I. pag. 29 sq.), der dies weitläufig ausführt, Bened. XIV. 1. c. n. 5.

Schulte, Geschichte. III. Bd. I. Th. 4

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VIII. Der Metropolit steht in seiner Diözese (archidioecesis im Gegen- satze zur provincia) lediglich in derselben Stellung, wie jeder andere Episcopus Ordinarius 31). Er hat folglich das Recht der Gesetzgebung ganz in dem geschilderten Umfange und unter denselben Bedingungen. Rücksichtlich der Kirchenprovinz hat der Metropolit nach dem heutigen Rechte gegenüber den Ordinarien nur einige genau bestimmte Befug- nisse. Zu diesen gehört das Recht, für sich allein ein die ganze Kirchen- provinz oder auch ein andres als das ihm unmittelbar untergebene Territorium natürlich ohne besondere päpstliche Vollmacht bin- dendes Gesetz zu erlassen, nicht. Nur wenn der Metropolit nach dem Rechte zur Visitation der Suffraganal-Diözesen befugt ist, kann er in actu visitationis in dem vom gemeinen Rechte ausdrücklich gestatteten Umfange allgemeine Anordnungen erlassen ^^).

§. 4. 3. Die statutarische (jesetzgebung *).

I. Zufolge ihrer Stellung als Gorporationen mit einer in gewissen Schranken selbstständigen Aufgabe haben die Kapitel der bischöflichen, erzbischöflichen und in Folge desselben historischen Entwicklungsganges die der Collegiatkirchen das Recht erlangt, sich Statuten geben zu dürfen.

II. Ueber ihre eignen Verhältnisse hinaus, mit Geltung für die ganze Diözese haben die Kathedralkapitel bei besetztem Stuhle kein Recht, Bestimmungen zu treffen; die Collegiatsstifter nach der Natur der Sache nicht. Dass sie sede vacänte unter gewissen Voraussetzungen das durch den Kapitelvikar auszuübende Recht der Gesetzgebung haben, ist nicht eine Folge ihrer Stellung, nicht ein kapitularisches Recht, sondern eine positive Bestimmung, die einen historischen Zustand an- erkennt. Es handelt dann aber auch nicht das Kapitel als solches, sondern als Stellvertreter der bischöflichen Jurisdiction. Die Kapitel als solche haben also kein Gesetzgebungsrecht.

III. Zur Gültigkeit der Statuten gehört: 1) sie dürfen den Kreis der Gegenstände nicht überschreiten, deren Ordnung durch Statuten

") Mein System §. 27. Lehrbuch §. 50.

^2) Denn obgleich c. 10 de ref. Sess. XXIV. Conc. Trid. nur von Episcopi redet, so sind doch gewiss die Metropolitani, wenn sie nach c. 3 das. zur Visitation befugt sind, auch in diesem ersten Dekrete mitbegriffen, weil dasselbe offenbar Bestimmungen für die Visitation, damit diese Erfolg habe, nicht blos für die Bischöfe treffen will. Vgl. mein System §.71. Lehrbuch §.91.

*) Vgl. überhaupt meine Quellen §. 29 ff., die betreffenden §§. meines Systems und Lehrbuchs, welche das nicht hierher gehörige Detail geben.

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überhaupt zulässig ist, 2) sie müssen in der gesetzmässigen Form er- richtet sein; sie dürfen 3) vom Rechte nicht missbiUigt sein.

Was den ersten, allein hierher gehörigen Punkt betrifft, so lässt sich dieser Kreis als diejenigen Angelegenheiten beschreiben, welche das innere Leben des Kapitels betreffen. Diese sind: Ordnung der Sitzungen (Ort, Zeit, Art der Führung, der Berufung zu denselben; ob diese stets namentlich geschehen soll oder nicht u. dgl.), die Ordnung des Gottesdienstes in seinen Kirchen und des Chorgebets (Erscheinen in choro; Zeit, Form, Ordnung im Chore u. s. w.); Distributionswesen (Anordnung der Distributiones quotidianae, Vorschriften über die Resi- denz, den Urlaub, Vertheilung, Handhabung, Verwendung ad piam causam u. s. f.), Vermögensverwaltung (Art, Aufsicht darüber, Vertheilung der Einkünfte: ob in natura oder Gelde u. s. w.), Regelung der Ver- hältnisse seiner Beamten, Aufsicht und Disciplin über die Kleriker und Diener der Kathedralkirche. Dahin gehört nicht minder die Disciplin über seilte Mitglieder selbst in Kapitelssachen [z. B. Festsetzung von Geld- strafen ad osum fabricae oder ad piam causam für Nachlässigkeiten u. s. f., Vorschrift schiedsrichterlicher Beilegung von Streitigkeiten u. dgl.] , An- ordnungen für die Aufnahme ins Kapitel [Vorschrift grösserer Erforder- nisse als das jus commune als Minimum hat, z. B. für alle Stellen Doctorat, Presbyterat, bestimmtes Alter, bestimmte Jahre einer geführten cura animarum, vorausgesetzt, dass ihm das Recht der Besetzung zusteht u. A.].

IV. Die Nothwendigkeit bischöflicher Bestätigung der Statuten kann auf Grund einer Dekretale ^) das Tridentinum hat keine Bestimmung behauptet, jedoch aus anderen 2) für den angegebenen Wirkungskreis bestritten werden, wie das seit der Glosse zum Sextus allgemein ge-

0 c. 9 X. de consiiet. I. 4. „Qiium consuetudinis ususque longaevi non sit levis auctoritas, et plerumque discordiam pariant novitates, auctoritate vobis prae- sentium inhibemus, ne absqiie episcopi vestri consensu immutetis ecclesiae vestrae Constitutionen! et consiietudines approbatas , vel novas etiam inducatis ; si quas forte fecistis [in ipsius episcopi praejudicium, postquam est regimen Parisiensis eccle- siae adeptusj irritas decernentes." Die hier in [ ] eingeschlossenen Worte hat Raymiind ausgelassen. Darauf legen Einzelne, z. B. Richter §. 176. Anm. 7 (5. Aufl.) Berl. 1858) und Phillips Bd. 3. S. 671, besonderes Gewicht. Hiergegen lässt sich indessen 1) sagen, dass die Stellung des caput im Tit. de consuetudine schon auf bestehende Zustände hinweist und nur solche durch Veränderung der bestehenden oder neue (in praejudicium episcopi) Statuten geändert werden, 2) novae consti- tutiones technisch nach dem Vorgange vieler Canonisten von solchen zu verstehen sind, welche bisherige abrogiren u. s. f. Vgl. z. B. Reiffenstuel L. I. T. IL §. XIX. (n. 491).

^) Nämlich c. 1. Contingit de jurej. in VIto II. 11. u. c. Constitutionem 2 de verb. signif. in VIto V. 12, welche nur gewisse Statuten verbieten und nichts davon erwähnen, dass dieselben mit bischöflichem Consens gemacht seien.

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schehen ist 3). Die'Circumscriptionsbullen unseres Jahrhunderts fordern ihn ganz allgemein für die Statuten der neu constituirten Kapitel, einzelne Provinzialsynoden für neue überhaupt *).

V. Verboten ist die Errichtung von Statuten, welche dem Rechte widersprechen, einen ausdrücklichen Satz oder den Geist des kirchlichen Rechts verletzen. Das findet statt : 1) contra jus commune. Zur Er- richtung von solchen würde auch der bischöfliche Gonsens nichts nützen, sondern es müsste der päpstliche hinzukommen. 2) Bei solchen contra jura Superiorum. Geht das Statut gegen ein Recht des Bischofs, auf welches derselbe verzichten kann, so wird es durch seine Approbation sancirt. Ist das nicht der Fall, so wird der Gonsens des Papstes er- forderlich. Der Art wären z. B. Versuche den Bischof bei Ausübung der ihm rücksichtlich der Kapitel im Goncil von Trient ^) beigelegten Rechte zu beschränken, oder einen bestimmten Weg vorzuschreiben, wo dem Bischöfe Freiheit gelassen ist. 3) Statuten contra jura quaesita ohne Zustimmung des Berechtigten. Aus diesem Grunde ist Einstimmig- keit nöthig, sobald wohlerworbene Rechte der einzelnen Glieder in Frage stehen. Dies gilt aber nicht blos für Rechte innerhalb des

^) Glossa in c, Constitutionem (in VIto cit. V. 12) verbo Statutum: „Ex hoc et ex eo , quod dicitur in fine , videbatur quod canonici possunt facere statuta, dummodo alias sint licita. Solet dici, quod capitulum sine Episcopo statuta facere non potest, quae tangant generalem statum Ecclesiae, vel tangant Episeopum, vel ejus jura. Sic intelligatur de cons. c. cum consuetudinis sup. de iis quae fiunt a prael. c. novit [das c. 9 X. I. 4 u. c. 4 X. III. 10] est enim praelatus caput, a quo non licet membrum recedere de rescr. c. cum non liceat [ist falsch citirt oder viel- mehr verdruckt, es muss heissen: de praescript. nemlich c. 12 X. II. 26] et haec Vera sunt, etiamsi capitulum talia statuat cum archidiacono suo, vel proposito, vel alio, qui post Episcopum praesit capitulo. Si vero statuant super iis, quae non tangant Episcopum, vel statum Ecclesiae, sed sua singularia negotia: puta quod certis modis quotidianas obventiones distribuant, vel quod certo modo ad capi- tulum vocentur: puta per talem campanam, vel alio modo: vel quod certis tem- poribus, etiam non vocati veniant ad capitulum, vel his similia: satis potest dici, quod super his tenet ipsius capituli constitutio sine Episcopo alias licita et legi- tima." Jo. Andreae giebt dann an, dass er sich an Compost. (Bernard.), Innoc. III. u. Hostiensis halte.

Ebenso Guido Papae ad c. Cum consuetudinis X. de consuetudine. Pirhing L. I. T. II. n. VII., Schmalzgrueber eod. n. 13, Mayr eod. n. 9, Böckhn eod. n. 24, OibeH T. IL pag. 172 u. A. Engel L. I. T. II. n. 25 meint, es komme auf die consuetudo locorum an.

'*) Wiener, französische (s. Coli. Lacensis die im Index capituli statuta ange- führten).

'0 Sess. V. c. 1 de ref., VI. c. 4 de ref., VII. c. 7 de ref., XXI. c. 3 de ref., XXII. c. 3, 4, 9 de ref., XXIII. c. 18 de ref., XXIV. c. 3, 12, 13, 14, 15, 16 de ref., XXV. c. 6 de ref. Für das Folgende noch das. Sess. XXV. c. 5 de ref., XXIV. c. 14 de ref.

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Kapitels, vielmehr kann das Kapitel auch kein Statut erlassen, wodurch ein Dritter in seinen erworbenen Rechten verletzt wird. 4) Normen, welche ohne Noth den geordneten Zustand des Kapitels verändern, oder Neuerungen einführen. Dies bezieht sich besonders auf die Bedingungen für die Erlangung von Präbenden, sowie die Pflichten und Rechte solcher. Dadurch sind keineswegs zweckmässige Neuerungen ausge- schlossen. Es muss aber der Gonsens des Bischofs oder Papstes, des letzteren dann, wenn die bischöfliche Gompetenz überschritten wird, hinzutreten. 5) Statuten, welche gegen das Beste der Kirche Verstössen. Der Art sind alle, die zum Nachtheile des Gultus gereichen, eine Ver- minderung der Pflichten dagegen die Vermehrung der Einkünfte be- zwecken u. dgl.

VI. Leidet ein Beschluss an einem der genannten Mängel, so steht es der Minderheit frei, sich an den Ordinarius mit einer Klage zu wenden. Auf Grund deren nimmt der Ordinarius eine Prüfung vor, welche für den Fall, dass das Statut dem Rechte widerspricht, zur Aufhebung desselben führen kann. Gegen dieses tJrtheil steht freilich der Mehrheit die Berufung offen. Bestätigt hingegen der Bischof einen Beschluss, so erlangt derselbe Kraft. Allerdings ist hierdurch nicht ausgeschlossen, dass eine Aenderung auf ein Gesuch der Minderheit oder zufolge einer Prüfung von Amtswegen durch den Papst stattfinden könne ^). Wird ein Statut in Rom überhaupt Gegenstand einer Prüfung, so pflegt dieselbe durch die Gongr. Goncilii vorgenommen zu werden.

VII. In wie weit die regulären Orden zur Errichtung von Statuten berechtigt sind, wird durch die den Orden bestätigende päpstliche Gon- stitution, oder durch andere päpstliche Gonstitutionen bestimmt, da das ganze Regularenwesen zur Gompetenz des Papstes gezogen ist ^). Das jus statuendi hat nur die Gorporation oder eine Repräsentation (Gonvent, Provinz, Kapitel u. s. w.) innerhalb des statutarischen Wirkungskreises.

VIII. Eine Reihe von Gorporationen , welche im Mittelalter von Bedeutung waren und das jus statuendi besassen, kommen für das Kirchenrecht in Folge der neueren Entwicklung seit dem Goncil von Trient nicht mehr in Betracht. Die neueren Congregationen sind überall durch bischöfliche bezw. päpstliche Gonstitutionen normirt und besitzen kein eigentliches Recht der Autonomie.

^) Beispiele von Statuten, welche contra jus gehen, abusus enthalten, die Disciplin, den Cultus u. s. f. verringern und desshalb aufgehoben oder modificirt wurden, zeigt die Ausg. des Conc. Trident. (Lips. 1853 von Richter und mir) ad cap. 12 de ref. Sess. XXIV. Viel Material giebt auch Fagnani ad. c. Ex parte X. de constit.

0 Mein System §. 172 ff. Lehrbuch §. 171 ff", über diesen und den Gegen- stand von num. VIII. , mit Quellen S. 134 ff.

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Zweites Kapitel. Das gemeine Recht.

§. 5. I. Das Concil von Trient*).

I. Papst Paul III. berief mit Bulle Initio nostri vom 22. Mai 1542, in der er seine früheren Absichten und die Schwierigkeiten, welche sich der Ausfülirung entgegengestellt, darlegt, ein ,sacrum oecumenicum et generale concilium' nach Trieut mit dem 1. November 1542 als

*) Quellen und Literatur Abth. II. Kap. III.

Ans^abeu : Canones," Et Decreta Sacrosancti Oecumenici, Et Generalis Concilii Tridentini sub Paulo III., Julio IUI., Pio IUI. Pontificibus Max. Index Dogmatum, et ßeformationis. Romae, apud Paulum Manutium, Aldi F. MDLXIIII. In Aedi- bus Populi Romani. Fol. (Ich besitze eins der von Ang. Massarellus, Marc. Ant. Peregrinus, Cynthius Pamphilus, dem Secretär und den Notaren des Concils, col- lationirten und auf der letzten Seite, vor dem Index, mit dem eigenhändigen Vermerk versehenen Exemplare. Wie viele solcher existiren, ob 12 oder 30, ist zweifelhaft. Renouard, Annales de Timprimerie des Aide. II. 37.) Rom. 1564. 4, 2 andere Fol. das. Lovan. 1567 f. Petr. Vinc. Marziglia (de Marcilla aus Sara- gossa, Benedictiner und Professor in Compostella, Censor der Inquisition), Decreta sacros. Conc. Trid. ad suos quaeque titulos secundum iuris methodum redacta, adiunctis declarationibus auctoritate apost. editis, quae habentur in IV. volumine decisionum Rotae Rom. Salmant. 1613, 4. Pinciae 1618. Am 29. April und 6. Juni 1621 auf den Index gesetzt. Jos. Gallemart (Professor der Theologie und Vorstand des Seminars in Douai, wo er 1625 starb. Foppens, Bibl. II. 644) S. Conc. Trid. additis decision. ac declarat. illustr. Card. Conc. Trid. interpretum ad diversa exem- plaria ac praesertim sec. correctionem Petri de Marcilla. Duaci 1618, 1655 u. ö. Colon. 1618 u. ö. Lugd. 1626 u. ö. Durch Dekret der Congr. Conc. vom 6. Juni 1621 missbilligt, weil sie viele verdächtige oder mindestens nicht authentische Entscheidungen enthalte, in Folge dessen auf den Index gesetzt. Dasselbe wider- fuhr der Ausg. cum citationibus Jo. SotealU et remission. Äug. Barhosae mit Dekr. vom 29. April 1621. Spätere et citatt. Jo. SotealU et Horatii Lucii quibus recens accesserunt additiones Balthas. Andreae . . . e biblioth. D. Prosperi Farinacn . . . Aug. Vindel. 1766.

Während die Gallemart'sche Ausgabe neben den Beclarationes unter der Rubrik Remissiones Verweisungen auf die Literatur beifügt, haben die älteren und meisten neuern sich auf den Text der römischen beschränkt, die letzteren jedoch am Schlüsse noch verschiedene auf das Concil sich beziehende päpstliche Bullen, sodann überall bei den dogmatischen und Reformdekreten ganz kurze Inhaltsangaben (Summaria) beigefügt. So die von Ph. Chifflet Antw. 1640, 12 und Le Plat Lovan. 1749, 4. Auch haben verschiedene die in den Reformdekreten angezogenen Kapitel des Corpus iuris canonici zugesetzt. Natürlich gehören diese

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Eröffnungstage, beschwor den Kaiser, die Könige, Herzoge und Fürsten in Person, oder durch Gesandte zu erscheinen und, ,was ihnen sehr leicht sei, zu sorgen, dass die Bischöfe und Prälaten aus ihren Ländern ohne Ausflüchte und Zöger ung zum Goncil reisen'. In der ersten förm- lichen Sitzung, 13. Nov. 1545, war das einzige Geschäft die Vertagung bis zum 7. Jan. 1546. Diese zweite brachte nur ein decretum de modo vivendi et aliis in concilio servandis zu Stande, das lediglich allgemeine Sätze enthält. In der dritten, 4. Febr. 1546, kam es zu einem decretum de symholo fidei, dem hergebrachten, und der Anberaumung der nächsten Sitzung. Diese vierte, 8. April 1546, erliess das decretum de canonicis scripturis mit sehr unbestimmter Erwähnung der Tradition und dem ersten Anathem, dazu das decr. de editione et usu sacrorum Ubrorum, Die lateinische Vulgata wird als authentische üebersetzung erklärt, welche sich Jeder hüten müsse aus irgend welchem Vorwande zu ver- werfen. Es wird verboten, sie gegen den von der Kirche angenommenen Sinn oder den ,unanimis consensus Patrum' zu interpretiren, möge die Schrift auch nicht für den Druck bestimmt sein u. s. \\. In der fünften Sitzung, 17. Juni 1546, wurde erlassen decretum de peccato originali

Stücke strenge genommen nicht dahin. In der römischen von 1564 stehen Ueber- schriften nur vor den dogmat. Kapiteln des decr. de iustificatione S. VI., de ss. eucharistiae saci-am. S. XIII., de ss. poen. et extr. unct.. sacram. S. XIV., de comm. sub utraque specie et parvulorum S. XXI., vor keinem caput eines Reformdekrets. Der Ausgabe von Le Plat schliessen sich eine Menge an. Unter den neueren sind liervorzuheben : die römischen von 1834, 4, an welche sich die im Richter'schen Corp. jur. can., dann die Leipziger Ed. stereotypa 1837 u. ö. anschliesst, ebenso die von Richter und mir Lips. 1851 mit den Entscheidungen der Congr. Conc. und einem grossen Anhange, der theils per extensum, theils regestenförmig eine Menge von päpstlichen Constitutionen giebt , nebst doppeltem Index : zum Concil (nach Le Plat) und zu den Declarationes.

Ich kenne noch Ausgaben: Antwerpen 1564, 1571, 1577, 1586, 1589, 1644. Augsburg 1746, 1757, 1766, 1781. Bassano 1743. Köln 1564, 1569, 1597, 1602, 1603, 1620, 1621, 1649, 1650, 1664, 1672, 1680, 1700, 1712, 1722, 1723, 1725, 1738, 1754. Dilingen 1564, 1565. Löiven 1567. Lüttich 1568, 1570, 1577, 1587. Lyon 1629, 1640, 1649, 1650. Piacenza 1591. Padua 1701, 1730, 1753, 1758. Trient 1737, 1745. Venedig 1564, 1566, 1569, 1570, 1573, 1578, 1579, 1581, 1585, 1588, 1590, 1593, 1595, 1596, 1602. Viele davon sind Gallemart'sche. Dazu die Conciliensammlungen §. 12. Selbstredend beabsichtige ich keine Vollständigkeit. Vgl. die Schriften von Le Plat (Praefatio), Salig, Streitwolf et Kiener, Libri sym- bolici ecclesiae cath. T. I. Prolegomena u. a.

Uel) er Setzung en : Deutsche, Wien 1783, 1786, Winterthur 1825 von Jodok Egli, Bielefeld 1843 u. ö. von Wilh. Smets, Leipzig 1845 von Schilling, Mainz 1846 von Barthel, Regensburg 1863 von J. G. Wesselack (3. Aufl. der Egli'schen), Passau 1877 von F. S. Pletz mit Anmerkungen ; französische, Reims 1564, Paris 1584 von G. Hervet u. a.

Die Kirche S. Maria maggiore zu Trient, in welcher die öffentlichen Sitzungen stattfanden, ist zu einer eigentlichen Discussion offenbar gänzlich ungeeignet.

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mit 5 canones i) und decretum de reformatione mit 2 Kapiteln (Ein- führung der praebenda theologalis Vorschrift regelmässiger Predigt und Verbot derselben durch Reguläre ohne genügende Sicherheit und durch Almosensammler). Die sechste Sitzung, 13. Jan. 1547, brachte zu Tage: decr. de iustificafione mit 16 Kap. und 33 canones; decr, de reformatione mit 6 Kap. (Residenzpflicht, Beschränkungen der Exemtion); die siebente, 3. März 1547, decretum de sacramentis: in genere mit 13, de haptismo mit 14, de confirmatione mit 3 canones, decr. de reformatione mit 15 cap. (Fähigkeit der Erlangung von Beneficien, Pluralität, Unionen, Visitation, Visitation nebst Erhaltung und Seelsorge exemter Kirchen , Consecration der Prälaten , Beschränkung des Kapitels sede vacante, facultates de promovendo, Prüfung der zu Beneficien Präsen- tirten, Jurisdiction und Visitation bezüglich Exemter). Damit ist die erste Periode des Goncils geschlossen. Paul III. hatte mit Bulle Regimini universalis ecclesiae vom 23. Febr. 1544 den Legaten gemeinsam, bezw. zweien, das Recht ertheiit, jeder Zeit das Concil zu verlegen, zu unter- drücken, aufzulösen und seine Fortsetzung in einer anderen^ als der gewählten Stadt, zu verbieten. Am 11. März 1547 wurde es wegen gefährlicher Krankheiten, weil viele abgereist, andere gegen das Bleiben protestirt, nach Bologna verlegt, womit die achte Sitzung sich be- fasste. Die neunte in Bologna, 21. April 1547, vertagte das Concil ohne Anberaumung eines neuen Tages, die zehnte, 2. Juni 1547, that dasselbe; am 14. Sept. 1547 vertagte es sich in einer Generalcongregation ,ad beneplacitum concilii'.

Paul III. starb den 10. Nov. 1549, sein am 8. Februar 1550 ge- wählter Nachfolger Julius III. erliess unterm 14. November dieses Jahres eine bulla resumptionis Quum ad tollenda, welche es auf den 1. Mai 1551 nach Trient; einberief. Damit beginnt die zweite Periode des Goncils. Nachdem in der elften Sitzung, 1. Mai 1551, die Reassurntion genehmigt worden, vertagte sich das Concil bis zum 1. September, wiederholte in der zwölften , 1. Sept. 1551 , die Vertagung. In der dreizehnten, 11. Oct. 1551, wurde erlassen: decr. de ss. eucharistiae sacramento mit 8 cap., 11 canones, decr. de reformatione mit 8 cap. (Disciplin gegen Geistliche, Prozess). Die Definition über 4 Artikel betreffs der Eucharistie wurde vertagt und den Protestanten salvus conductus zugesichert. In der vierzehnten, 25. Nov. 1551, publizirte man: doctrina de ss. poenitefitiae et extremae unctionis sacramentis mit 9 resp. 3 cap., 15 resp. 4 canones; decr. de reformatione mit 13 cap. (Correction, Jurisdiction über Exemte, irregularitas ex delicto, Union von Beneficien, Patronat). Die nächste

0 Bezüglich der ^unbefleckten Jungfrau Maria Grottesgebärerin^ wird auf Sixtus' IV. Constitutionen (c. 1, 2 Extrav. comm. III. 12) verwiesen.

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Sitzung wurde auf den 25. Jan. 1552 anberaumt, in dieser fünfzehnten das Goncil vertagt und den Protestanten salvus conductus verheissen, in der sechszehnten, 28. April 1552, dasselbe suspendirt. Damit ist die zweite Periode des Goncils, oder, wenn man will, die dritte, beendigt.

Julius III. starb den 23. März 1555, sein Nachfolger Marcellus II. regierte nur vom 9. April bis 1. Mai desselben Jahres, hierauf Paul IV. A^om 23. Mai 1555 bis 18. Aug. 1559. Die Stellung, welche dieser namentlich zum Kaiser einnahm, hinderte die Fortsetzung. Sein am 25. auf den 26. Dez. 1559 gewählter Nachfolger Pius IV. berief mit Bulle Ad eccleslae regimen 29. Nov. 1560 das Goncil auf Ostern 1561 nach Trieiit. Es beginnt dessen letzte Periode.

Man beschloss in der siebzehnten Sitzung, 18. Jan. 1562, das Goncil sublata quacunque suspensione weiter zu feiern. Nachdem die acht- zehnte, 26. Febr. 1562, blos ein decretum de Ubrorum delectu et omnibus ad concüium fide publica invitandis gebracht, die Gongr. generalis 4. März 1562 nationi Germanicae den salvus conductus zugesichert, die neunzehnte, 14. Mai, zwanzigste, 4. Juli, sich lediglich mit der Ver- tagung befasst hatte, wurde in fünf folgenden Sitzungen das Werk zu Ende geführt. Die einundzwanzigste Sitzung, 16. Juli 1562, erliess: doctrina de communione sub utraque specie et parvidorum mit 4 cap. und 4 canones; decr. de reformatione mit 9 cap. (Ertheilung der Weihen, distributiones quotidianae in den Kapiteln, Goadjutoren, Errichtung von Pfarreien, Unionen, Vicare und Absetzung der Pfarrer, Herstellung der Kirchen, Visitation, Almosen- und Indulgenz- Wesen), die zweiund- zwanzigste, 17. Sept. 1552 : doctr. de sacrificio missae mit 9 cap., 9 can., decr. de observandis et evitandis in celebratione missae^ decr. de reformatione mit 11 cap. (Leben der Geistlichen, Erfordernisse der Prälatur, distri- butiones quotidianae, Erfordernisse der Gapitularen, Ertheilung von Dispensen, Stiftungsänderung, Form der Berufung, piae causae, Notariat), die dreiundzwanzigste, 15. Juli 1563: doctr. de sacramento ordinis mit 4 cap., 8 can., decr. de reformatione mit 18 cap. (Residenz, Bestimmungen über Tonsur u. s. w., Erfordernisse für Beneficiaten u. dgl., ilpprobation der Beichtväter, Errichtung von Seminaria), die vierundzwanzigste, 11. Nov. 1563: doctr. de sacramento matrimonü mit 12 can., decr. de reformatione matrimonü mit 10 cap. (Form der Eheschliessung, Ein- schränkung der imp. cognationis spiritualis, publicae honestatis, affmitas illegitima ; über raptus, matrimonium vagorum, Goncubinat, gegen staat- liche Beeinträchtigung der Ehefreiheit, tempus clausuni) ; decr. de refor- matione mit 21 cap. (Ernennung der Bischöfe und Gardinäle, Haltung von Provinzial- und Diözesan-Synoden, Visitation, Predigtamt, Vorbehalt der causae majores der episcopi für den Papst, DispensfakuHät für Bischöfe, Bussdisciplin und praebenda poenitentiaria, Visitation der eccl.

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nullius und exemtae u. s. w., Regelung der Kapitelsverhältnisse u. s. w., Gumulation, Versehung vacanter Pfarreien und Pfarrconcurs, Aufhebung der Anwartschaften u. dgl. , Bestimmungen über das Gerichtswesen), die fünfundzwanzigste, 3. und 4. Dez. 1563: decr, de purgatorio; de invocatione, vener atione et reliquiis sanctorum et s. imaginihus; decretum de regularibus et monialibus, das in 22 cap. allseitig den Gegenstand neu regelt: decr. de reformatione mit 21 cap. (Haushalt der Kardinäle und Prälaten, feierliche Annahme der Goncilsdecrete, Excommunication, Reduction der Messen, Beachtung der Stiftungsgesetze, Visitation exemter Kapitel, Verbot des accessus et regressus ad beneficia, Hospitäler, Patronat, judices synodales, Verbot bestimmter locationes bonorum ecclesiasticorum , Zehnten, Quarta funeralis, Verfahren gegen clerici concubinarii, Ausschliessung der Bastarde der Geistlichen von Beneficien, Bestimmungen über Beneficien, Mahnung der Bischöfe zu vvürdigem Leben und Vermeidung des höfischen Wesens, Beachtung der canones und Dispens, Zweikampf, Empfehlung der kirchlichen Rechte zur Beobachtung durch die Fürsten, Vorbehalt der päpstlichen Rechte), in der Continuatio sessionis (am 4. Dez.) decretum de indulgentiis^ de delectu ciborum; ieiuniis et diebus festis; de indice librorum et catechismo^ breviario et missali; de loco oratorum; de recipiendis et observandis decretis concilii. Nach einer Rede des Hieronymus Ragasoni, Episc. Nanzianzenus i. p. wurde das Goncil am 4. Dez. 1563 mit den üblichen Acclamationen geschlossen.

II. Kr\ stimmfähigen Mitgliedern: Kardinäle, Patriarchen, Primaten, Erzbischöfe, Bischöfe^ Ordensgenerale, Aebte, hat das Goncil im Ganzen 300 gehabt; diese Zahl war jedoch niemals gleichzeitig anw'esend und umfasst alle, auch die 9 während desselben zu Trient verstorbenen. Von diesen 300 entfallen auf Italien 206, Spanien 33, Frankreich 29, alle übrigen europäischen Länder 16. Von den 39 katholischen Bis- thümern, welche damals in den jetzt Deutschland und Deutsch-Oester- reich (Gisleithanien) bildenden Gebieten existirten, waren 5 persönlich 2), drei durch Prokuratoren ^) vertreten. Der grösste Theil der Christenheit war nicht vertreten.

III. Zur Vorbereitung sind nirgends Synoden gehalten worden ; eine GonstatirungdesGlaubensderEinzelkirchen hat absolut nicht stattgefunden.

-) Coiistanz durch Marc Sittich von Hoheuembs (Neffe Pius' IV. von seiner Schwester, geb. 1539, Kardinal 1561. im August 1560 Bischof von Cassano , was vorher Pius war), Ermland durch Kard. Hosias, Prag durch den Erzb. von Miigh'tz, Trient durch Kard. Madruzzi, Lavant durch B. Bettinger.

'0 Basel, Regensburg, Salzburg. Die Vertretung einzelner anderen kommt nicht in Betracht, weil sie nicht bei den entscheidenden Sitzungen stattgefunden hat. Auf l^ngarn fallen 9. auf P(den und Irland je 3.

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IV. Sieht man auf das Objekt, so fällt der eine Theil dem Glaubens- gebiete zu. In 57 Kapiteln und 132 Sätzen, deren jeder einzelne mit dem Anathem sanctionirt ist, wurde zum Gegenstand des Glaubens erhoben, was die scholastische Theologie an Lehren aufgestellt hatte. Die dogmatischen Dekrete und Canones sind in Wirklichkeit ein zum Symbol erhobenes Lehrsystem der scholastischen Theologie. Man darf kühn behaupten, dass es seit 1563 zu keiner Zeit hundert Laien und unter je hundert Geistlichen kaum jemals zehn gegeben hat, welche diese 132 Sätze genau gekannt haben. Das Goncil hat mithin die Methode der alten unbedingt verlassen, es hatte lediglich den Zweck, gegenüber der protestantischen Theologie eine ,katholische' d. h. römische mit unzweifelhafter Klarheit hinzustellen. Der Gang der Verhandlungen liefert den unzweideutigsten Beweis, dass nur durch Intriguen aller Art, durch die beständige Beeinflussung von Rom und durch die niedrigsten Manöver dieses Resultat ermöglicht wurde ^). Was in den 166 Kapiteln über die Reform, also für das Rechtsgebiet angeordnet wurde, hat viel- fach wirklichen Mängeln abgeholfen. Manche Bestimmungen hätten sehr heilsam wirken können, wenn sie in der für die einzelnen Kirchen- provinzen passenden Weise von unabhängigen Provinzialsynoden durch- geführt worden wären. Dies aber wurde aus den (im §. 1) dargelegten Gründen unmöglich. Abgesehen von Einzelbestimmungen liegt die eigentliche Bedeutung des Goncils darin, dass seine Sätze die Handhabe boten, zunächst in der Diözese Alles zu concentriren , und zuletzt durch römische Behörden die Administration zu leiten. Wie durch die dogma- tisirte scholastische Theologie mit Nothwendigkeit das Studium der Kirchenväter überflüssig und gefährlich geworden war, thatsächlich daher die römische Theologie seitdem sich nicht an diese, sondern an das Tridentinum und die Scholastiker anlehnt ^) , so wurde durch die

0 Es ist unmöglich, das hier zu beweisen. Die von Sickel edirten Correspon- denzen allein zeigen es. Siehe deren Besprechung von mir in der ,Oesterr. Wochen- schrift\ Wien 1872, I. S. 558. Wie unwürdig die Vorgänge oft waren, ergeben die publizirten Akten, welche selbst in der zahmen Gestalt des von Theiner edirten Massarelli'schen Tagebuchs kennen Prügel- und Beschimpfungs-Scenen der Väter versammelt im „heiligen Geiste", von dem wiederholt in Briefen K. Ferdinand's I. bei Sickel die damals currente Aeusserung vorkommt : „er komme mit Postpferden nach Trient".

^) Alle Bemühungen, auf die Väter grundlegend zurückzugehen, sich von der Scholastik zu emanzipiren, haben Roms Verwerfung geerntet. Es gieht in Wirklichkeit keine katholische Dogmengeschichte. Das erste Werk, das wirklich eine historisch dogmengeschichtliche Untersuchung von theologischer Seite bietet, ist Jos. Langen, das vatikanische Dogma von dem Universal-Episcopat und der Un- fehlbarkeit des Papstes in seinem Verhältniss zum Neuen Testament und der exegetischen Ueberlieferung. 4 Thle., Bonn 1871—1876. Dies aber beweist auch, wie Vieles von dem hinfällig wird, was man als gang und gäbe findet.

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rechtlichen Bestimmungen dieses Goncils der absolute Bruch mit der Geschichte vollzogen. Man nahm als richtig an, was es aufstellte, jede Besserung wurde den Einzelkirchen unmöglich. Wohl konnte noch eine Zeitlang der Kampf der alten Tradition mit dem Umstürze sich fort- spinnen, wie wir den Streit zwischen dem Episkopal- und Papal-System bis auf unser Jahrhundert haben fortdauern sehen. Das aber ist zweifel- los, sobald man das zu Trient geschaffene Werk mit historisch un- getrübtem Auge betrachtete, blieb nur die Alternative: Fall des ganzen römischen Systems, oder päpstlicher Absolutismus mit seiner Krönung durch die päpstliche Infallibilität ^).

V. Das ganze Verfahren, wie es die Kurie wollte und im Ganzen durchsetzte'), zeugt von der Absicht, durch das Concil eine ganz be- stimmte Richtung zur ausschliesslich massgebenden zu machen, und durch sie unbedingt zu herrschen. Zu Trient sind die ,Väter' durch die römische Schlauheit gegen die Absicht und Ansicht aller nicht vom Papste abhängigen Mitglieder leider die Minderheit übertölpelt worden. Das wird klar an dem formellen Gange, an den Beschlüssen und an dem Verhalten des Papstes nach dem Schlüsse. Man Hess keinen Prokurator eines Abwesenden mit wirklichem Stimmrecht zu ^), verletzte dadurch einen fundamentalen ^) Satz aller alten Concilien und bewirkte, dass die deutschen Bischöfe und Aebte, welche als Landes- herren wegen der schwierigen Verhältnisse am persönlichen Erscheinen verhindert waren , un vertreten blieben. Da gleiche Gründe zahlreiche andere in Frankreich u. s. w. abhielten, bekamen die von Rom ab- hängigen Italiener die Majorität. Weil man in Gonstanz und Basel die Macht der Wissenschaft kennen gelernt hatte, schloss man die Universitäten von der Theilnahme aus ^^j. Auch den fürstlichen Oratoren

*') Es verdient hervorgehoben zu werden , dass mit Ausschluss der jetzt er- wiesenermassen einseitigen, parteiischen und selbst gefälschten Geschichte Palla- vicini's, die Kurie nie die Publikation der auf das Concil bezüglichen Aktenstücke zugelassen, Theiner seines Amts entsetzt wurde, weil er die Geschäftsordnung aus der Hand gab. Eine ,vom heil. Geiste geleitete*- Versammlung, deren Verhand- lungen man nicht publiziren darf!

0 Der kolossale Gegensatz, der gleichwohl noch zwischen dem Concil von Trient und dem vatikanischen von 1869—1870 besteht, ist von mir ,Die Stellung der Concilien' u. s. w. S. 226 ff. eingehend geschildert worden; ich habe gezeigt, dass jenes sich für unfehlbar hält, theoretisch an seiner Aufgabe festhält, Prüfung fordert, Selbstständigkeit beansprucht, das bischöfliche Amt intact lässt.

^) Mewe Stellung der Concilien S. 233 auf Grund der Geschäftsordnung Ma.ssareUi's.

^) Daselbst S. 71.

^^) Die Convocationsbulle Paul's III. sagt nichts von dem Ausschlüsse der letztern. lässt einfach Prokuratoren zu. Paul III. schloss sie durch Bulle Decet nos X. Kai. Maj. 1545 aus und Hess nur für die deutschen Prälaten solche mit

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als solchen wurde kein Stimmrecht zugestanden. Die päiostlichen Legaten massten sich das ausschliessliche Recht an, Vorschläge zu machen und haben die Vorlagen der wichtigsten kaiserlichen Anträge auf Reform verhindert ^^).

Beim Schlüsse und nachher zeigt sich ein eigenthümliches Ver- fahren 12). Der Vorsitzende Kardinal richtete am Ende der letzten Sitzung an das Goncil die Frage:

,placetne vobis, ut ad laiidem Dei omnipotentis liuic s. oecum. synodo finis imponatur, et omnium et singulorum, quae tarn sub fei. rec. Paulo III. et Julio III., quam sub sanctiss. domino nostro P. IV. Rom. Pont, in ea decreta et definita sunt, confirmatio nomine s. huius synodi per ap. sedis legatos et praesidentes a b. Rom. Pont, petatur?"-

Pallavicini ^^) erzählt, es hätten gegen den Widerspruch des Erzbischofs von Granada alle zugestimmt. Pius IV. pries zuerst in einem Gonsistorium das Goncil, veranstaltete ein Dankamt, setzte dann aber eine Gommission zur Prüfung ein, und ertheilte mit Gonsistorialbulle Benedictus Dens VII. Kai. Febr. 1564 **) seine Confirmatio, declarirte mit Bulle Sicut Deus XV. Kai. Aug. 1564, dass die Disciplinardekrete am 1. Mai 1564 in Kraft getreten seien. In der Bulle Benedictus Deus sagt er:

,Quum autem ipsa sancta synodus pro sua erga sedem ap. reverentia, antiquorum etiam coneiliorum vestigiis inhaerens ^'^), decretorum suorum omnium . . . confirmationem a nobis petierit . . . , nos . . . hodie confir- marimus"- . . .

Nach dem absoluten Verbote für Alle, Glossen, Gommentare u. dgl. zu machen, und der Weisung sich wegen Zweifel an den apost. Stuhl zu wenden, fährt er fort:

Schreiben Dudum vom 5. Dez. 1545 zu; diese hob Pius IV. mit const. Alias vom 26. Aug. 1562 auf und erneuerte die const. Decet nos. Prokuratoren, die Bischöfe waren, stimmten nur als Bischöfe.

^^) Darüber authentisches Material besonders bei Sickel. Ueber den Gang der Verhandlungen s. die Geschäftsordnung Massarellts und danach meine Schrift ,Die Concilien' S. 233.

^■2) Ich habe es a. a. 0. S. 239 ff. näher dargestellt.

^3) Istpria L. XXIV. c. VIII. n. 8. vol. II. p. 1025. Ich habe a. a. 0. be- wiesen, was sich schon aus den offiziell gedruckten Canones et decreta ergiebt, dass die Beschlüsse in jeder Sitzung puUizirt wurden, eine Bestätigung der dog- matischen Dekrete zu Widersinnigkeiten führt. Da diese Dekrete uns nicht weiter berühren, gehe ich hier auf die Sache nicht ein.

") Welche wirkliche Prüfung konnte zwischen dem 5. Dez. 1563 und 26. Jan. 1564 und gar bei der in Rom üblichen Art, wo die Fertigstellung einer Bulle eine Woche braucht, stattgefunden haben ? Für den dogmatischen Theil gar keine. Schon dies allein beweist, dass es absolut nicht um eine Prüfung zu thun war, sondern diese nur den Vorwand bildete, eine alte Forderung zu vÄ-wirklichen.

*''^) Dass die antiqua concilia nicht daran gedacht haben, ist von mir ,Die Stellung der Concilien^ S. 96 ff. bewiesen.

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,Nos enim difficultates et controversias , si quae ex eis decretis ortae fiierint, nobis declarandas et decidendas, quemadmodum ipsa quoque syno- dus decrevit, reservamus'' cet. So hatte er dem Papste die ausschliessliche Interpretation der Gesetzes- vorschriften des Concils vorbehalten, damit demselben zugleich das Recht beigelegt, sie authentisch zu interpretiren und folglich nach seiner Meinung anzutvenden. Er stützt sich dabei auf den Beschluss der Sess. XXV. c. 21 de ref., der lautet:

,Postremo s. synodus omnia et singula, sub quibuscunque clausulis et verbis , quae de morum reformatione atque ecclesiastica disciplina . . . statuta sunt, declarat ita decreta fuisse, ut in his salva semper auctoritas sedis apostolicae et sit, et esse intelligatur.'' Man hatte also jetzt endlich die Gratianische Theorie ^^) zur An- erkennung durch das ,ökumenische' Goncil gebracht. Dieses Goncil hat dabei an das Recht des Papstes in dem Sinne, wie es sofort gehand- habt wurde, nicht gedacht; die Acten ergeben eine solche Auffassung nicht. Wie sie aber sofort in dem Sinne, dass der Papst das unbedingte Gesetzgebungsrecht auch über dem ^allgemeinen^ Concil habe, angewendet wurde, lehrt die Bulle ,Benedictus Deus'. Das Goncil selbst hatte die Handhabe geboten, man liess sich die Sache gefallen und der Satz, dass der Papst supra jus canonicum stehe, welchen vordem nur einzelne Ganonisten und Päpste aufstellten *^), wird jetzt als selbstverständlich betrachtet ^^).

In den Beschlüssen selbst lag die Handhabe zur Durchführung dieses Standpunktes, indem sie den Päpsten das Mittel boten zur vollsten Centralisirung der Kirchenverivaltung in ihrer Hand. An den Satz der Sess. XXV. c. 21 de ref. und die Bulle Benedictus Deus anknüpfend concentrirte man die Ausführung und Interpretation des Goncils sammt der Entscheidung von Streitigkeiten, für welche ein Satz desselben massgebend sein konnte, in der Congregatio Concilii. Weil man in Trient mit der Anfertigung eines Gatechismus nicht fertig geworden war, überliess man in der 25. Sitzung die Endigung und Ausführung dem Papste. Pius V. publizirte den ,Catechismus ex decreto Concilii Tridentini ad parochos^ und machte damit für alle Zeiten eine bestimmte Richtung herrschend. In demselben Dekrete hatte man die Angelegen- heit des Missale, Breviarium und Index dem Papste an's Herz gelegt, in einzelnen Dekreten den Ritus erwähnt, in andern über Fasten und Festtage, die Vulgata, das Symbol u. s. w. gesprochen. Die Errichtung

*^) Siehe diese im Bd. I. S. 94.

'0 Vgl. Bd. I. S. 100 (Anm. 18) u. ö. Bd. IL S. 28, 35 (Anm. 2) u. ö.

^®) Siehe meine Quellen des kath. Kirchenr. S. 85 ff., mein Lehrbuch des kath. Kirchenr. S. 399 ff. P. Benedict XIV. sagt in cit. encycl. Magnae nohis 29. Juni 1748: ,Romanus autem Pontifex est supra ins canonicum.'

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der Congregatio Bituum, Congr. Indulgentiarvcm et Reliquiarum zog Alles nach Rom, die römische Edition des Missale, Brevier und der Vidgata haben zu der Uniformirung viel beigetragen, die Congr. Indices hat allmälig die katholische Wissenschaft brach gelegt. Obwohl die päpst- lichen Reservate namentlich pro foro interno den heftigsten Widerspruch fanden, im can. 11, Sess. XIV. das Recht der Bischöfe anerkannt wurde, bot Sess. XIV. c. 7. de ref. u. A. die Handhabe für die Concentrirung des ganzen Dispens- und Absolutionswesens pro foro interno in der Poenite^itiaria apostolica; die Bestimmungen über die Einsetzung der Bischöfe (Informativprozess) führten zur Ansichnahme des ganzen Be- setzungswesens, welche durch die Verhandlungen der Regierungen mit der Kurie sanctionirt wurde. Die Sätze in Sess. VI. c. 1 de ref., XXIV. c. 5 de ref. Sess. XXV. c. 7 de ref., XXV. c. 10 de ref., die über die Regularen u. s. w. führten zur Bestellung der Congr. Epis- coporum et Begularium als einer wirklichen Oberbehörde, zur Erweiterung der Functionen der Dataria apostolica; die Nichthaltung von Provinzial- und Diözesan- Synoden, denen verschiedene Befugnisse (z. B. in c. 10 de ref. Sess. XXV., c. 2 de ref. eod., c. 18 de ref. Sess. XXIII.) über- tragen waren, ergriff man in Rom als ein Mittel, nicht um deren Haltung zu erzwingen, sondern sie durch Fakultäten überflüssig zu machen ^^). Schliesslich wusste man ganz allgemein sich von vorn- herein Aller zu versichern. In Sess. XXV. c. 2 de ref. wird bestimmt, dass alle Mitglieder der Provinzialsynode , ,veram ohedientiam summo Romano Pontifici spondeant et profiteantur' und zwar ,in ipsa prima synodo provinciali post fmem praesentis concilii habenda' und so ,in posterum in prima synodo provinciali, in qua ipsi interfuerint' ; alle übrigen Beneficiaten sollten in der ersten Diözesan - Synode dasselbe thun, die, welche ,universitatum et studiorum generalium cura, visitatio et reformatio' haben, sollten von den Universitäten die canones et decreta annehmen lassen, die Dozenten anhalten, danach zu lehren, und alle alljährlich dies eidlich geloben. Gap. 12. Sess. XXIV. de ref. fordert, dass die Kapitularen und Inhaber der Guratämter vor dem Bischof (Generalvicar , Offizial) und im Kapitel dasselbe thun und ,orthodoxae suae fidei publicam professionem' leisten. Mit keiner Silbe wurde der Papst autorisirt, ein neues Glaubensbekenntniss zu machen. Gleichwohl machte Pius IV. in der Bulle Injunctum nobis 18. Nov. 1564

*^) Ich hebe z. B. hervor Sess. XXV. c. 4 de ref., das die Messreductionen den Bischöfen in der Diözesansynode, den Aebten und Generalen in den General- kapiteln zuweist. Statt dessen hat die Kurie, sich namentlich berufend auf das nicht allein diesen Fall, ja ihn nicht ex professo berücksichtigende c. 6 de ref. Sess. XXII., wo die Bischöfe ,tanquam delegati sedis apostolicae^ ermächtigt wer- den, ausschliesslich an sich gezogen.

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{In sacrosancta vom selben Tage) ein Glaubensbekenntnisse worin nicht blos in nuce die ganze Tridentinische Theologie bekannt sondern auch beschworen wird:

Sanctam cath. et apost. Romanam ecclesiam omniiim ecclesiarum matrem et magistrara agnosco, Romanoque Pontifiei , beati Petri Apostolo- rum principis successori ac Jesu Christi vicario, veram obedientiam spondeo ac juro.'"

Dieser Eid, das absolute Verbot jeder wissenschaftlichen Erörterung des ConcilSy die angedeuteten päpstlichen neuen Einrichtmigen sicherten fortan dem Papste die volle, ungetheilte, uneingeschränkte Befugniss der Gesetzgebung mit der Wirkung , dass jedweder , auch der leiseste Versuch, in irgend einem Punkte eine andere Meinung aufzustellen, als ketzerisch oder schismatisch gebrandmarkt werden konnte.

VI. Das Goncil von Trient mit den päpstlichen Constitutionen und der römischen Praxis bildet fortan die einzige Quelle, aus der das ge- meine rein kirchliche Recht sich fortbildet, zugleich die einzige für die Weiterbildung des partikulären in wirklich wichtigen Dingen. Hierin Hegt die enorme Bedeutung dieser Synode.

VII. Die Disciplinardekrete des Goncils wurden auf einer Reihe von Provinzialsynoden vorschriftsmässig publizirt, ebenso von Seiten der katholischen Regierungen, zuerst der von Venedig 2^), dann von dem übrigen Italien ^ in den deutschen Staaten katholischer Landesherren, insbesondere in den kaiserlichen Erbstaaten, in Spanien, Portugal, in Polen, sowie in den südamerikanischen. Für die Niederlande erhob die Statthalterin Margaretha von Parma mit Zustimmung der geistlichen und weltlichen Stände Bedenken gegen die Publikation, welche jedoch durch Philipp's IL Befehl, diese vorzunehmen, beseitigt wurden ^ i). Da- gegen ist die Publikation in Frankreich von Seiten der Könige nicht gestattet worden, weil die Beschlüsse des Goncils im Widerspruche ständen mit dem Rechte der gallikanischen Kirche. Der Episkopat hat zwölfmal vergebens die Verkündigung beim Könige beantragt, sich aber selbst auf den Standpunkt gestellt, zur Publikation verpflichtet zu sein 2 2); diese ist thatsächlich^s) in der vom Goncil selbst gefor- derten Weise schon aus dem Grunde nicht geschehen, weil nur ver-

■^") Siehe Le Courayer in Sarpi IL app.

^0 Bened. XIV. De syn. dioec. L. VI. cap. VI. n. 2 erörtert die Frage aus Veranlassung der Untersuchung über die Geltung des cap. 1. decr. de ref. matr. Sess. XXIV. Conc. Trid., dessen Publikation er darthut.

^'^) Siehe überhaupt (de Biirigny) Histoire de la reception du Concile de Trente, über die in Frankreich auch Bouix du concile provincial eh. 20 p. 500. In der assemblee du clerge de France von 1615 (Proces verb. II. 242) verpflicliten sie sich dazu und fordern die Publikation durch Prov.- oder Diözesansynoden. 2^) Gibert und Burigny bestreiten die Publikation.

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einzelte Provinzial- und Diözesan-Synoden seit dem Goncil von Trient gehalten worden sind (§. 10, 11).

II. Die päpstlichen Constitutionen. Das Corpus iuris canonici.

§• 6. 1. Ueberhaupt. Sammlungen.

I. Von den Päpsten, welche seit dem Goncil von Trient für die Weiterbildung des Rechts, sei es durch Abänderung des früheren, oder durch Schaffung neuer Sätze und Institutionen hervorragen, verdienen hervorgehoben zu werden: Pius IV., Pius V., Gregor XIII., Sixtus V., Gregor XIV., Glemens VIII., Gregor XV., Urban VIIL, Innocenz X., Innocenz XL, Innocenz XII., Benedict XIII., Glemens XII., Bene- dict XIV., Glemens XIII., Pius VIII. Die meisten Vorgänger hinsichtlich des Umfangs der Gegenstände wie der Anzahl und alle durch die radikale Aenderung des bisherigen Rechtszustandes übertrifft Pius IX. (16. Juni 1846 7. Februar 1878). Hat Benedict XIV. als der bedeu- tendste Papst seit dem Goncil von Trient, wenn man auf die juristische, theologische und wissenschaftliche Bildung überhaupt Gewicht legt, recht eigentlich die Absicht gehabt und zu verwirklichen gesucht, wesentlich auf der bisherigen Grundlage das Recht zu verbessern und auch in Ein- klang zu setzen mit manchen Anforderungen der Neuzeit ^)^ so hat Pius IX., den man nach jeder der angedeuteten Richtungen, wo nicht als den unbedeutendsten, so doch als einen der unbedeutendsten Päpste erklären darf, die seit dem Goncil von Trient, ja überhaupt regierten, als Werkzeug der jesuitisch-scholastischen Partei mit Erfolg es durch- gesetzt, die dogmatische wie die historische Grundlage des kirchlichen Rechts- gebäudes zu vernichten, und das Kirchenrecht in offenen und unlösbaren Widerspruch zu setzen mit den Anforderungen der Zeit^).

II. Die Gegenstände der päpstlichen Gonstitutionen sind neben sol- chen zur Ausführung des Goncils von Trient, zur Schaffung und Durch- führung der durch dasselbe ermöglichten päpstlichen Gentralverwaltung,

^) Die Constitutionen über den Prozess, die gemischte Ehen, seine Concession der Verwerfung der personae minus gratae u. A. liefern den Beweis.

■^) Syllahus, Const. Pastor aeternus 18. Juli 1870, die Condemnation der Oivüehe die Cassation von Staatsgesetzen u. A. genügen. Im Einzelnen hat auch Pius IX. manche gute Verbesserung eingeführt, z. B. bezüglich der Ablegung des Ordens- gelübdes {mein Lehrbuch §. 173), manche Concessionen gemacht. Sonderbarerweise ist deren Gutes stets ein dem sog. Josephinismus angehöriger Satz, dessen Gewährung selbst Pius IX. den eifrigsten verdächtig machte, bis er schliesslich sich zum un- bedingten Werkzeug gebrauchen Hess, das man schon bei seinen Lebzeiten zu vergöttern anfing.

Schulte, Geschichte. III. Bd. I. Th. 5

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vorzugsweise von Pius IV., Pius V. und Sixtus V. namentlich folgende: Papstwahl und was damit zusammenhängt, durch Pius IV., Gregor XIV., Gregor XV., Clemens XII. u. Pius VI.; Besetzung der Bisthümer durch Pius V.; Gregor XIV., Urban VIIL, Clemens XIII. ; Weihen^ Irregularitäten u.dgl. durch Urban VIIL, InnocenzXIL, Benedict XIV., Pius IX.; Präben- den, Besetzung der Beneficien u. s. w. durch Pius IV. und V., Gregor XIII., Innocenz XI., Clemens XI., Benedict XIV., Pius IX.; Stellung der Ordi- narien durch Pius V., Clemens X. und XIII., Benedict XIV., Pius IX.; vita clericorum durch Pius V., Urban VIIL, Benedict XIII. und XIV.; Immunität durch Pius V., Gregor XIV., Benedict XIII. und XIV.; Ver- äusserung von Kirchengut durch Pius IV. und V., Innocenz IX., Cle- mens VIIL, Pius IX.; Begräbniss durch Urban VIIL, Gregor XVI. ? Pius IX.; Eegularenweseny Congregationen, Bruderschaften durch Pius IV. und V., Gregor XIII. und XV., Sixtus V., Urban VIIL, Clemens VIIL, Innocenz X. und XIL, Benedict XIII. und XIV., vor Allem Pius IX.; Ehe durch Pius IV. und V., Sixtus V., Benedict XIV., Pius VI. und VIIL, Gregor XVI., Pius IX.; Prozess durch Pius IV. und V., Gregor XIIL, Six- tus V., Clemens VIIL, Paul V., Urban VIIL, Clemens X., Benedict XIIL und XIV., PiusVlL, Gregor XVI., Pius IX.; Strafrecht durch Pius IV. undV., Gregor Xm., Sixtus V., Clemens VIIL, Gregor XV., Urban VIIL, Clemens XIL, Benedict XIV., Clemens XÜL, Pius VIIL und IX. 3).

III. Eine wirklich amtliche, als solche mit Gesetzeskraft versehene, Sammlung der päpstlichen Constitutionen existirt nicht. Alle Samm- lungen sind private. Die älteste *) in diese Zeit fallende Constitutionen- Sammlung, welche mit der Bulle Execrabilis Johann's XXII. beginnt und bis auf eine Julius' III. vom 5. Juni 1550 deren 68 enthält, ist: Bullae diversorum pontificum incipiente (Druckfehler) a Joanne XXII. usque ad . . Julium Papam III, Ex bibliotheca . . . Ludovici Gomes episcopi Sarnensis cet. Ronme apud D. Hier'onymum de Cartulariis Perusinum. Ä. D. 1550 mense Junii cet. fol.

Eine zweite

Bullae diversorum Rom. Pont, incipientes a Bonifacio VIII. usque ad , . Paulum IV. cet. Rom. ap. Anton. Bladum impressorem cameralem, 1579. fol.

umfasst zuerst 116, letzte von Marcellus II. (Mai 1555), dann Capitula

^) Von Pius IX. besonders die Const. ApostoUcae sedis über die reservirten Censuren vom 12. Oct. 1869.

In dem Liber Septimus von Sentis findet man eine nicht erschöpfende, aber doch die vollständigste Angabe bezw. Zusammenstellung der Constitutionen u. s. w. nach dem Dekretalensystem.

'') Einen guten Artikel über die Bullarien s. in .Theol. Lit. Bl.^ Bonn 1870, Sp.' 503 von Sentis, der auch insbesondere die theilweise unbegreiflichen Verstösse in der Turiner Ausgabe aufdeckt.

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observanda per aromatarios Almae Urbis Romae ap, A, Bladum. 1558, sodann 47 bis auf Pius IV. (letzte 15. April 1559). Caesar Mazutelli edirte:

Collectio diversarum constitutioimm et literarum Rom. Pont, a Gregorio VII. ad . . Gregorium XIII. Cum quadrupUd indice. Rom. apud haeredes Änt. Bladii typogr. camerales. 1579. fol. min., welche 723 enthält.

Mit der nunmehr folgenden Sammlung^) kommt der bis heute im Gebrauch gebliebene Name Bullarium auf, nämlich:

Bullarium sive collectio diversarum constitutionum multorum pontificum a Gregorio Sept. usque ad , . . Sixtum V. P. 0. M. Cum rubricis, summarüs, lucubrationibus et quadruplici indice. D. Laertii Cherubini de Nursia Icti editum opera et industria heredum Äntonii Bladii impressorum camera- lium. Rom . . . 1586 fol.

Sie enthält 922 von Gregor VII. bis auf den 12. Nov. 1585. Zur Fortsetzung erschien:

Bullarium s. coli, constitutionum hucusque editarum «... Sixto Quinto P. 0. M. cum rubricis cet. Pars prima Rom. 1588. Pars secunda ib, 1590. worin 75 bezw. 40 bis IX. Gal. April. 1588 stehen.

Neue Ausgabe von Gherubini's Bullarium, Rom. 1617. 3 T. fol. (vermehrt um 732 Stücke). Fortsetzung mit den Constitutionen Pauli V., Greg. XV. und Urb. VIIL, ib. 1633 in 1 vol. (ed. Angelo Maria Che- rubim), des ersteren Sohn, als Tom. quartus. Alle vier von demselben mit Appendix der Constitutionen Urbans VIII. von 1631 20. Juni 1637, b. 1638, 4 T. ; Fortsetzung in 2 Vol. fol. ib. 1672 von Angelus a Lan- tusca und Joh. Paulus a Roma (ord. Min. s. Franc, strict. observ.) der Const. Urban's VIIL bis Clemens X. als Tom. V. und VI. mit Anhang von 42 bis 20. Mai 1673. Dieselbe ohne den Anhang Lugd. 1673, 5 vol. fol.

Magnum Bullarium Romanum a beato Leone usque ad S. D. N. Bene- dictum XIII. opus absolutissimum. Luxemb. sumptibus Andr. Chevalier, 1727—1758, 19 vol. fol.

Die sechs ersten enthalten die römische Ausg. von 1673; Tom. 7 (Continuationis Tom. I. mit 23 Inn. XL, 12 Alex. VIII, 123 Inn. XII., T. 8 (Gont. T. IL) mit Const. (112; 78, 122 separirt) Clem. XL, 1 von Inn. XIIL, 16 von Ben. XIII. Tom. 9 und 10 (Supplem.) 1730 geben Nachträge; T. 11 und 12 (Luxemb. 1739) Nachträge aus Cocquelines, 13 19, gehen bis zum 5. Sept. 1757 und sind zumeist aus Cocque-

^^ Auch seitdem Einzelausgaben, z. B. Äpostolicarum Pii V. epistolar. libri V. nunc primum editi op. et cura Franc. Gouban. Antw. 1640, 4.

^) Ueber die öftere Wiederholung derselben Constitutionen, den Mangel an Ordnung u. s. w. siehe Sentis 1. c. Derselbe giebt die Titel der altern genau und. lässt sich insbesondere über Cocquelines und die Turiner Ausgabe näher aus.

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BuUarium, privilegiorum, ac diplomatum Rom. pont. ampUssima collectio, opera et studio Caroli Cocquelines von Bd. 6 an als BuUarium Eomanum seu novissima et accuratissima collectio apostolicarum constitutionum ex auto- graphis, quae in secretiori Vaticano aliisque sedis apostolicae scriniis asser - vantur, die 6 ersten Romae 1739 1756, von denen T. III. in 3, IV. in 4, V. in 5, VI. in 6 Partes zerlegt ist (also in Wirklichkeit 20 Bände), welche das Cherubini' sehe Bullar mit den aus dem päpstlichen Archiv und den mittlerweile edirten Urkunden- sammlungen enthalten, Vol. 7—14 ib. 1723—1744.

Benedict XIV. begann von Neuem die Publikation einer amtlichen Ausgabe^ also einer Gesetzessammlung , indem er mit Bulle Jam fere ,Doctoribus et Scholaribus universis Bononiae commorantibus et juri canonico et civili studentibus' seine bis dahin erlassenen Constitutionen zufertigte. Dieser Vorgang, der interessant ist und den Papst charak- terisirt, hat keine Nachahmung gefunden. Er selbst veranstaltete noch eine Ausgabe, deren letzte Gonst. vom 5. Sept. 1757 ist:

BuUarium Benedicti XIV. T. I— III. Rom. 1754. T. IV. 1758 f. Rom. 1746—1757. 4 vol. fol. Ergänzt Mechlin. 1827. 13 vol. 8. Man fügte seitdem in neuen Bänden die neuen Constitutionen hinzu als: Bullarii Rom, continuatio cet. von Clem. XIII. an Rom 1825 sqq. bis 1857. 20 vol. fol.

In der neuesten Zeit begann man eine vollständige Sammlung^).

Bullarum diplomatum et privilegiorum sanctorum Rom. pont. Taurinensis editio locupletior facta collectione novissima plurium brevium, epistölarum, decretorum actorumque S. Sedis a S. Leone M. usque ad praesens cura et studio AI. Tomassetti . . . Franc. Gaude . . . Aug. Taur. 1857 sqq., bis jetzt 24 voll. 4. App. nunc primum edita vol. I a S. Leone (a. 440) ad Pelagium I. (590) ib. 1867.

Diese Sammlung bringt zwar viel neues Material, verbessert manche Druckfehler früherer u. s. w., entspricht aber in keiner Beziehung den Anforderungen, welche die Wissenschaft mit vollem Rechte zu stellen hat. Uebrigens gilt dasselbe von allen älteren Ausgaben. Die neueren Fortsetzungen leisten oft an Druckfehlern Unglaubliches. Ein besonderes ist:

BuUarium pontificium S. Congr. de Propaganda Fide. Rom. 1839—1858 7 vol. fol.

IV. Ausser den auf Vollständigkeit berechneten Bullarien ^) giebt

') Die Ausgabe: Bullar. diplom. ac privileg. omnium . . . sac. Mauro Marocco et Henr. Dalmazzo. Taur. 1856 f. ist zu Maculatur geworden und daher selten (Götting. Bibl.).

^) Dazu Compendien derselben : Jac. Castellani, Comp, constitutionum summor. pont. a Greg. VII. ad Clem. VIII. Venet. 1603. 4. Jo. Ant. Novarii, Summae bullar. s. apost. constitutionum usu frequentior. commentaria, in quibus celebriores jur. eccl. et pont. materiae explanantur cet. cura et stud. Jos. Domitii et postremo

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es noch verschiedene Sammlungen, namentlich für die Orden, welche gleichfalls privaten Charakter haben. Dahin:

Bullarium Lateranense sive Coli, Privil. apost. a s. sede canonicis regul. ord. S. Aug. concessorum. Rom. 1727 fol.

ChristopJwrus de Jesu (Portugiese, ord. SS. Trin., episc. Nicomediens. i. p.) Bullarium Ordinis ss. Trinitatis cet. 1591 f.

Com. Margarinus, Bullarium Ordinis S, Benedicti Cassinense, seu consti- tutiones sum. pontificum, imperatorum, regum, principum et decreta s. coir- gregationum pro congregatione cas. cet. selecta per . . . T. I. Ven., 1650. T. II. Tuderti 1760 f.

Laur. EmpoU, Bullarium Ordinis Eremitarum S. Augustini. Rom. 1628 f.

EUsaeus Montignanus , Bullarium Oridinis Carmelitarum. Rom. 1718, 2 vol. fol.

Bullarium Ordinis Praedicatorum opera Thomae Ripoll editum et ad autograpliam fidem recognitum, variis appendicibus , notis, dissertationibus ac tract. de consensu bullarum illustratum a P. F. Ant. Bremond. Rom. 1729—1740, 8 vol. fol.

Mich, a Tugio, Bullarium fratrum minor. S. P. Francisci Capucinorum. Rom. 1740, 7 vol. fol.

Bullarium ordinis S. Hieronymi Congr. B. Petri de Pisis studio et la- bore J. Bapt. Gobat, Petav. 1775, 2 vol. f.

F. J. Hyac. Sbaralea Bullarium Franciscanum. Rom. 1759 1768 , 4 vol. fol.

Bullarium canonicorum regularium Congregationis S. Salvatoris. Rom. 1753, 2 vol. vol.

C. Morelli, Fasti novi orbis et ordinationum apostolicarum ad Indias pertinentium breviarium. Ven. 1776, 4.

2. Die Bearbeitung des Corpus iuris canonici.

Die offiziellen Arbeiten zur Herstellung des Textes des Corpus iuris canonici sind bereits früher besprochen ^). Weitere haben in dieser Periode nicht stattgefunden. Dagegen giebt es eine ungeheure Anzahl von Privatausgaben ausser den schon besprochenen ^) ; ich beschränke mich auf die Angabe der mir selbst bekannten, insbesondere der nach 1550 erschienenen; eine Aufzählung aller ist kaum von Werth.

a. Decretum Gratiani.

Neue Ausgaben der von Dmnoulin, Lugd. 1613 f. Demochares,

nonnullis additionibus Mich. Justiniani cet. Rom. 1677. AI. Guerra Epitome pont. constit. in bullario magno et rom. contentarum. Venet. 1772, 4 vol. f.

1) Bd. I. Seite 72, II. S. 23, 44, 50, 63.

2) Bd. I. S. 71 fF., II. S. 23, 44, 50, 63. Ausser den dort besprochenen bietet keine neuere (bis auf die von Friedberg begonnene) eine Veranlassung zu näherem Eingehen. Ziemlich alle geben seit 1582 den Text der römischen.

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Antw. 1570. 4. Paris 1570. 4. Le Conte, Antw. 1570. Lugd. Bat 1555 f. 1584 f. c. gl. Paris 1570. 8. 1612 f. c. gl. (röm. Ausg.). Taur, 1620 f. Ven, 1566. 4. c. gl. 158,4. 4.

b. Decretales Gregorii IX,

Lugd. 1548 f. 1584 f. Lugd, Bat. 1556 f. Rom 1582 f. Paris 1570 f. 1585 f. 1612 f. Ven. 1584. 4. c. gl. Lugd. 1618 f. Änüv. 1570. 8. 1573 f. c. gl. Ed. Pithou, Paris 1587 f. Danach Lips. 1695. 1705.

Reine Abdrücke der römischen Yon 1582: Francof. 1586.4. T. 8., 1591. Colon. Munal. 1670. 4. Lugd. 1622. 8. Aug. Taur. 1588. c. gl. 1745 (mit Sex. Giern. Extr. und Inst. Lancel.).

c. Liher Sextus.

Lugd. 1572 f. c. Giern., Antw. 1570. 8. Lugd. Bat. 1548 f. (m. Giern, u. Extr.) 1566 f. 1584 f. Paris 1612 f.

d. Clementinae.

Antw. Ibl2i. Rom. 1769. 4. {mit Anmerkungendes Hier. Baldassini).

e. Sextus Clementinae et Extravagantes.

Antw. 1569. 1572 f. Rom. 1582 f. Lugd. 1618 f.

f. Gesammtausgaben von a bis e.

a. in 8.0

Francof. 1586. 1590 per P. Matthaeum, 5 vol. Lw^c?. 1566. 6 vol. ed. Contius Antw. ex off. Chph. Plantini 1569. 1570. 1673. 3 vol.

b. in 4.^^)

Burdig. 1623. (4. Bd. Index von Steph. Daoyz.). Lugd. 1559. 1591. 1605. 1614. 1622. Ven. 1600. 1605 (rec. Andr. Alciati), 1615. 3 vol. Colon. Munat. 1661 (röm. Ausg. mit Lancel. Inst. u. Lib. VII des P. M.). Colon. 1696. 1730. Sine loco: 1650.

c. in Folio»

Antw. 1573 c. gl., 3 vol. 1648. Lugd. 1520—1523. 1541 sine gl. c. gl. et 1554 s. gl. 1555. 1556 c. gl. 3 vol. 1584. c. gl. 3 vol., 1618, 3 vol. c. gl. 1620 sq. 3 vol. 1624. 1671, 3 vol. c. gl. Lugd. Bat. 1548, 3 vol. Paris. 1585. 1601, 3 vol. 1612. 1618. Taurin. 1620 sq. 3 vol.

Von den durch bekannte Herausgeber veranstalteten seien noch genannt:

Rec. P. et. Fr. Pithou ex bibl. CL le Peletier, Paris. 1687, Lips. 1695, 2 vol. fol., Paris. 1605, 2 vol. fol. Francof. 1748 fol.

Rec. Lancelotti^): Antw. 1648 f. Basil. 1665. 4. Col. 1631. 1670. 1682. 1696. 1717. 4. Lugd. 1591. 1605. 1614. 1616. 1622. 1650. 4.

^) Die älteren, noch nicht im 2. Bande genannten sind:

Par. 1506. 1511 (cum glossa), 1518 (c. gl.) Th. Kerver. Lügd. 1515 c. gl.

*) Regelmässig zugleich mit dessen Institutiones.

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Col. Munal. 1661. 1696. 1717. 4. Paris. 1618 f. Aug. Taur. 1745, 2 vol. 4., 1776. Ven. 1591, 2 vol. 1595, 3 vol, 1600. 1604. 1605. 1615. 1616. 4. Sine loco: 1650. 4.

Cum Ändr. Alciati addition. Ven. 1605, 3 vol., 1606, 4 vol. 4. Rec. Christoph. Henr. Freiesleben (Corp. jur. can. academicum in duos tomos distributum usuique moderno accomodatum) Prag, Alten- bürg et Lips. 1728. 4. Co/ow. Munat 1735. 1745, 2 vol. 4. (notis P. Lancelotti ad modum G. H. Freiesleben). Ven. 1773. 4. 1782, 2 vol. 4. Thurnis 1757. 4.

Die neueste^) ist:

Corpus iuris canonici editio Lipsiensis secunda post Aem. Lud. Richteri curas ad librorum manu scriptorum et editionis Romanae fidem recognovit et adnotatione critica instruxit AemiUus Friedberg. Lips. 1876, 79, 4. Bis jetzt liegt nur das Dekret vor.

§. 8. 3. Der sogenannte Liber Septimus P. Clemens' VIIL *).

I. Die Sammlung, welche obigen Namen trägt, hat keine gesetz- liche Kraft erlangt, ist auch vor dem Jahre 1870 nur wenigen genauer bekannt geworden. Wenn sie gleichwohl hier eine Besprechung findet, ist dies gerechtfertigt, well sie als lebendiger Beweis für den neuerlichen Versuch, das Dekretalenrecht zu codifiziren, dasteht und weil der end- liche Verzicht auf die Publikation bezüglich der römischen Anschauun- gen über die Fortbildung der Rechtsquellen und ihre Benutzung be- deutende Aufschlüsse giebt. Hierin sehe ich zugleich die für meine Darstellung massgebenden Gesichtspunkte.

II. Gregor XIII. hatte die Absicht, ein neues Gesetzbuch zu machen und übertrug die Ausführung den Kardinälen Flavio Ursini, Francesco Alciati und Antonio Caraffa spätestens im Anfange des Jahres 1580, beschäftigte sich aber auch nach dem Berichte Pinelli's persönlich damit ^). Sixtus V. nahm den Plan wieder auf und bestellte

■^) Siehe darüber Friedberg, ,Eine neue Ausgabe des Corp. iur. can.'" Leipz. 1876 (Festschr. zum 60jälir. Doktorjubiläum G. F. Hänel's) und mit einem Zusätze in Zeitschr. f. Kirchenrecht von Dove XIV. 1 ff., dann die Prolegomena.

■"■) Franc. Sentis Clementis Papae VIIL Decretales quae vulgo nuncupantur Liber Septimus Decretalium Clementis VIIL primum edidit cet. Friburgae Brisg. 1870. Die Prolegomena geben die Geschichte, referiren die von den Schriftstellern gegebenen richtigen und falschen Notizen über die Sammlung, über die Exem- plare u. s. w. Die Arbeit liefert die erste unbedingt zuverlässige quellenmässige Behandlung desselben.

^) Brief Pinelli's an Clemens VIIL (bei Sentis p. XXVIL), der nebst desselben Vorrede über die meisten Punkte Aufschluss giebt.

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dafür im Jahr 1587 eine Gongregation ^ deren Vorsitzender Kardinal Domenico Pinelli, deren Mitglieder nach Pinelli's Wahl die Kardinäle Hippolito Aldohrandini (später Clemens VIII.), Ascanio Colonna^ Giro- lamo Mattet und Girolamo Pinelli, ausserdem Lucio Soxo, Serafino Oli- vari, Lorenzo Blanchetto, Girolamo Pamphili, Franc. Pegna, Pompeo Arrigoni, Pompeo Arrestini nebst dem Sekretär Giulio Cesare Ottinelli wurden 2). Im Jahr 1592 wurde das 1., im folgenden Jahre Buch 2 5, jedes separat zu dem Zwecke gedruckt, um den Mitgliedern für die Sitzungen u. s. w\ zur Hand zu sein, desshalb unzweifelhaft in einer geringen Anzahl von Exemplaren. Vom Freitag 27 August 1592 bis zum Freitag 17 Dez. 1593 wurde in regelmässigen Freitagssitzungen die erste Lesung beendigt ^). Die weitere Redaction nahm Pinelli vor, am 1. August 1598 wurde von ihm das gedruckte*) Werk unter dem

Titel :

Sanctissimi Domini Nostri D. Clementis Papae VIII. Decretales. Romae. Ex Typographia Camerae ApostoUcae M. IJ. XCVIII.

dem Papste zur Approbation vorgelegt. Weder diese noch die förm- liche Publikation des offenbar nur in wenigen Exemplaren gedruckten Buches ist erfolgt^). Fagnani hat als Grund angegeben^), dass man sich über das Verbot in der Constitution Pius' IV. Benedictus Deus nicht habe wegsetzen zu dürfen geglaubt, während Glossen u. s. w. zu den aufgenommenen tridentinischen Dekreten nicht hätten vermieden werden können. Nach Lage der zu Gebote stehenden Quellen ist nicht festzustellen, wesshalb Clemens VIII. die Sanction verweigert hat. Aus Randbemerkungen im Exemplar von 1598 der Casanatensischen Bib- liothek '^) geht hervor, dass im Jahre 1607 und 1608 eine Congregation mit einer neuen Lesung des Buches beschäftigt war, von dieser alle tridentinischen Dekrete beibehalten wurden und der Theil der Const. Pii IV. über das Verbot des Commentirens Aufnahme fand. Sentis nimmt zwei Gründe der Nichtapprobation an, erstens die Mängel der Sammlung, welche in der Aufnahme aller dogmatischen Dekrete des Tridentinums und in dem absoluten Ignoriren der zahlreichen päpst- lichen und römischen, vom Papste bestätigten, Gongregationsdekrete bestehen sollen, zweitens die Weltlage, da mit Rücksicht auf die ver-

^) Ausser dem angef. Briefe Pinellis s. P. Pithou Appendix synopseos histo- riae virorum clarorum, qui praeter Gratianum canones et decreta eccles. colle- gerunt (auch in J. H. Boehmer Corp. jur. can. P. I. p. 1242).

^) Pinelli bei Sentis p. X.

^) Am Ende des 5. B. ,Finis libri quinti et totius operis die XXV. Julii 1598\

^) Von Sentis p. XI. sqq. nachgewiesen.

^) In cap. Cum venissent, de iucliciis n. 61 sqq.

0 Sentis theilt verschiedene mit; dieser hat überhaupt zuerst die neuerliche Verhandlung bekannt gemacht.

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weigerte Annahme bezw. Publikation verschiedener Dekrete des Triden- tinums in Frankreich, Sicilien u. s. w., auf die Uebung des Placet, und wegen der Aufnahme mancher in einzelnen Staaten verworfener Bullen, ein Erfolg nicht zu hoffen gewesen wäre. Mir scheint der zweite Grund der richtige zu sein ; der erste hätte sich leicht beseitigen lassen, soweit die dogmatischen Dekrete in Betracht kommen^), er passt nicht^ inso- weit es sich um die aus Veranlassung einzelner Fälle ergangenen De- krete u. s. w. handelt, da bereits der Li her sextus Bonifacii VIII. nicht mehr den Charakter einer Sammlung von Dekretalen im strengen Sinne des Wortes hat^); der letzte Punkt konnte auch nicht abhalten, da die offizielle Ausgabe des Corpus juris canonici derartige Extravaganten u. s. w. bereits enthielt.

III. Das System der Sammlung ist das hergebrachte in 5 Büchern mit respektive 16, 9, 28, 6, 20 Titeln ^^), welche eine ungleiche Zahl von Kapiteln haben. Es bedarf keiner eingehenden Untersuchung, um zu finden, dass in den berücksichtigten Quellen sich Material für ver- schiedene nicht aufgenommene Titel findet; man hätte allerdings die Dekrete des Tridentinums und andere Gesetze nach der alten Methode zerreissen müssen. Indessen die Befolgung des Dekretalensystems war an sich unzweckmässig. Das Material ist genommen aus den Synoden ^^) von Florenz,